Der ehemalige Geheimdienstchef will in die Politik einsteigen. Was ist daran so außergewöhnlich und vielleicht sogar problematisch? Diese Frage ließe sich leicht mit „nichts“ beantworten, wenn so jemand nicht umstritten wäre. Aber im Fall von Hans-Georg Maassen ist es genau so.
Kontroverse Aussagen
Der langjährige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, also der deutschen zivilen Abwehr und Kritiker der Migrationspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, verlor 2018 in einer nicht gerade ruhmreichen Situation sein Amt. Grund für seine Entlassung war seine Einschätzung der ausländerfeindlichen Exzesse im sächsischen Chemnitz nach dem tragischen Tod eines Deutschen kubanischer Herkunft. Was damals in Chemnitz geschah, löste im In- und Ausland Empörung und Besorgnis aus.
Hans-Georg Maassen erklärte daraufhin in einem Interview mit der Boulevardzeitung Bild, er habe „keine sicheren Informationen“, dass es in Chemnitz eine Kampagne gegen Ausländer auf den Straßen gebe. Er erwähnte auch, dass in diesem Fall möglicherweise absichtlich falsche Informationen weitergegeben wurden. Diese Einschätzung widersprach den Berichten der Medien und Zeugen der Ereignisse. Für Angela Merkel und die Große Koalition war klar, dass Maassen gehen muss. Doch Innenminister Horst Seehofer von der bayerischen CSU lehnte seine Entlassung lange ab.
Der Streit um diese Frage drohte sogar, die Einheit in der Regierungskoalition zu wahren. Letztendlich einigten sich seine Mitglieder auf einen Kompromiss: Maassen wird an das Innenministerium gehen. Doch als der Inhalt seiner Abschiedsrede an die Chefs europäischer Geheimdienste in die Medien kam, änderte sich schlagartig alles. Dort behielt er seine aktuelle Position zu den Ereignissen in Chemnitz bei, die für den linken Flügel in der SPD eine hervorragende Gelegenheit war, eine Spaltung der großen Koalitionsregierung zu provozieren. Auf diese Weise änderte Maassen die Maßnahme endgültig und Minister Seehofer trat sofort in den Ruhestand.
Seitdem tritt der promovierte Jurist ständig als Teilnehmer rechter Mediengespräche auf und präsentiert seine Ansichten gerne auf Twitter. Nun rechnet er damit, nach der Bundestagswahl im September in Deutschland als Direktkandidat für das Abgeordnetenhaus der CDU in Thüringen in den Bundestag einzuziehen. Ob dies geschieht, hängt von den Ergebnissen der heutigen (30.04.2021) Abstimmung im Wahlkreis 196 ab.
Sie hat laut Beobachtern gute Chancen, gewählt zu werden. Interessanterweise hatte der 58-Jährige vor seiner Entlassung aus dem Innenministerium keine Verbindung zum Osten Deutschlands. Er stammt aus Nordrhein-Westfalen und wird diesem Bundesland zugeordnet.
Maassen könnte den CDU-Maskenskandal ausnutzen
Dass so ein Mensch plötzlich ein gern gesehener Gast für die Christdemokraten in den Wahlkreisen Suhl, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg ist, hat einen trivialen Grund, der der CDU jedoch äußerst unangenehm ist. Mark Hauptmann, der hier 2013 und 2017 die Wahlen gewonnen hatte, stolperte über verdächtige Geschäftsbeziehungen zu Aserbaidschan und den zuvor angedachten CDU-Maskerade-Skandal. Aus diesem Grund legte er sein Parlamentsmandat nieder und verließ die Partei. Maassen will versuchen, diesen Stadtteil für die CDU zu retten; Dabei verlässt er sich auf seine äußerst konservativen Ansichten, für die er bekannt ist.
Größter Konkurrent der CDU dort ist die rechtspopulistische AfD, die bei der Landtagswahl 2019 in Thüringen die zweite Stimmenzahl gewann und die CDU überholte. Die Tatsache, dass die AfD in diesem Bundesland aufgrund ihrer extremistischen Ansichten und Handlungen nun offiziell vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht wird, mag eine besondere Zusammenfassung dieses Falles sein. Kann der ehemalige Chef dieses Amtes lokale Wähler auf die CDU-Seite schleppen? Im DW-Interview dementierte der Politikwissenschaftler Werner Patzelt dies und bezeichnete Maaßens Vorgehen als „eine Geste der Verzweiflung“.
CDU und CSU haben in den neuen Bundesländern unglaublich viel Vertrauen verloren. Alle dort von der CDU geschlossenen politischen Koalitionen haben den Charakter einer gegen die Alternative für Deutschland gerichteten Koalition. Dies ist vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt der Fall, wo sich die CDU notgedrungen zu einer Koalition mit SPD und Grünen entschlossen hat. Auf Bundesebene ist die AfD allerdings nur halb so stark wie im Osten. Der Umgang der CDU mit Rechtspopulisten dort ist für Werner Patzelt daher derzeit nicht das wichtigste Thema.
Für Armin Laschet M.aassen scheint kein problem zu sein
Für die CDU ist derzeit das Wichtigste, ob sie sich nach der Bundestagswahl im September den Grünen als möglichen Koalitionspartner annähert oder sich auf der Tagesordnung von ihnen distanziert. Der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet sagte kurz nach seiner Ernennung, die Grünen seien bei dieser Wahl der Hauptkonkurrent der Christdemokraten. „Herr Maassen spielt in diesem politischen Spiel überhaupt keine Rolle“, sagt Patzelt, selbst CDU-Mitglied.
Als Politikwissenschaftlerin glaubt sie nicht, dass ihr bei der Bundestagswahl im September eine noch deutlichere Trennung von CDU und AfD mehr Bedeutung beimessen würde. Anders wäre es jedoch, wenn Bundeskanzlerin Merkel mit der politischen Linie brechen würde, die „die AfD so stark gemacht hat“. „Im aktuellen Wahlkampf ist die CDU auf die Unterstützung derer angewiesen, die den zentristischen politischen Kurs von Angela Merkel „gewollt und unterstützt haben“, sagt Patzelt. Den vakanten Platz rechts neben der CDU habe die AfD eingenommen, die erst gegründet wurde 2013. Armin Laschet betonte jedoch in einem der Interviews deutlich, dass Maassen auch an dem Grundsatz festhalten muss, dass er als CDU-Mitglied nicht mit der AfD zusammenarbeiten oder mit ihr reden kann.
Die CDU kann politische Tabus brechen
In den neuen Bundesländern, also in der ehemaligen DDR, sind Anhänger der CDU von der Richtigkeit des zentristischen Kurses der Partei nicht ganz überzeugt. Außerdem lassen sie sich nach Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur nicht gerne von einer zentralen Autorität zwingen, ihnen den richtigen Kurs aufzuzwingen. Das erfuhr die CDU mehrfach in Thüringen, wo seit 2014 mit einer kurzen Unterbrechung der Ministerpräsident der Linkspartei, Bodo Ramelov, regiert. Als seine Koalition mit SPD und Grünen die Mehrheit im Parlament verlor 2019 wählten CDU und AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten.
Dies sei ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz, dass die CDU politisch nicht mit der AfD oder der Linkspartei kooperieren könne. Bundeskanzlerin Merkel ordnete daraufhin den „Widerruf“ der Wahl Kemmerichs an. Die Christdemokraten in Thüringen wurden an den kommunistischen Zentralismus aus DDR-Zeiten erinnert. Am Ende trat Kemmerich selbst als Ministerpräsident zurück und Ramelow wurde wiedergewählt, um eine von der CDU geduldete Minderheitsregierung zu führen, doch dies war ein Tabubruch der Christdemokraten.
Am 26. September könnte alles enden. An diesem Tag wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt, in Thüringen ein neuer Landtag. An diesem Tag steht die CDU jedoch möglicherweise vor einem ähnlichen Dilemma wie heute: Soll sie sich für eine Kooperation mit der AfD oder der Linken in Thüringen entscheiden? Beide brechen Tabus. Erst dann wird Armin Laschet zumindest als CDU-Vorsitzender und möglicherweise auch als Nachfolger von Angela Merkel als Kanzlerin sagen, was er wirklich davon hält.
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