Die Deutschen haben bald keine Kanzlerin mehr, dafür aber eine Bundestagspräsidentin. Sechs Wochen vor der Ablösung von Angela Merkel (CDU) an Olaf Scholz (SPD) als Regierungschef hat Bärbel Bas am Dienstag, 26. Oktober, die Nachfolge von Wolfgang Schäuble (CDU) an der Spitze der Kammer der Abgeordnete. Seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 bekleideten nur zwei Frauen dieses Amt, die zweite in der Ordnung des Staatsprotokolls: Annemarie Renger (SPD) von 1972 bis 1976 und Rita Süssmuth (CDU) von 1988 bis 1998.
Noch vor zehn Tagen hätte niemand ein solches Schicksal für diesen der Öffentlichkeit völlig unbekannten, gewählten 53-Jährigen vorausgesagt. Nach dem Sieg der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl vom 26. September war in der Tat eine andere Persönlichkeit ein Favorit: Rolf Mützenich, seit 2002 Abgeordneter und seit 2019 Fraktionsvorsitzender der SPD. 65, galt als natürlicher Kandidat für die Nachfolge von Wolfgang Schäuble, wobei der Vorsitz traditionell der Partei vorbehalten war, die die Wahlen gewonnen hatte.
Ein Punkt in seinem Lebenslauf war jedoch problematisch: die Tatsache, dass er ein Mann war. In einem am 18. Oktober veröffentlichten offenen Brief äußerten die Soziologin Jutta Allmendinger und der evangelische Theologe Peter Dabrock, ehemaliger Vorsitzender der Nationalen Ethikkommission, Bedenken, dass der Bundestag wieder von einem Mann geleitet wird.
„Politik hat Vorbildfunktion“
„Wenn die „Ampel“-Koalition [SPD, Verts et libéraux du FDP] das Licht der Welt erblickt, würde dies bedeuten, dass die fünf wichtigsten Ämter an der Spitze des Staats [présidences de la République, du Bundestag, du Bundesrat, et de la Cour constitutionnelle et chancellerie fédérale] wird von Männern besetzt. (…) Die Politik, insbesondere die dem Gleichheitsprinzip verpflichteten Parteien, haben ein Vorbild. Dies gilt insbesondere für die SPD, die historisch und programmatisch den Fortschritt verkörpert. Als solcher muss er daher bei den fünf höchsten Staatsämtern besonders auf solche Dinge achten.“ konnte man in diesem offenen Brief lesen.
Nach einem solchen Ordnungsruf wurde die Kandidatur von Rolf Mützenich deutlich schwieriger zu verteidigen, zumal Olaf Scholz selbst im eigenen Wahlkampf mehrfach als „Feministin“ in Erscheinung trat. Innerhalb der SPD selbst forderte der 1972 gegründete einflussreiche Sozialdemokratische Frauenarbeitskreis (ASF) dass die Partei eine Frau als Kandidatin für die Nachfolge von Wolfgang Schäuble vorstellt. „Das Zukunftsprogramm der SPD verspricht ein Jahrzehnt der Gleichberechtigung. Worte müssen Taten entsprechen. Deshalb muss der Bundestagspräsident mit einer Frau besetzt werden. Wir haben in unserer Gruppe viele wundervolle und kompetente Frauen für eine solche Position“, ASF-Sprecherin Maria Noichl sagte der RND-Pressegruppe am 18. Oktober.
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