Einige Beobachter hielten die Rede des polnischen Regierungschefs in Brüssel auf dem EU-Gipfel für weniger kriegerisch als den früheren Angriff auf die EU im Europaparlament. Aber das sind wohl diplomatische Kleinigkeiten. Mateusz Morawiecki kämpft noch immer für den politischen Grundsatz, dass je nach Wunsch und Laune der Regierung in Warschau polnisches Recht Vorrang vor EU-Recht haben soll.
Das gesamte Argument Polens, es sei noch nie vereinbart worden, Europa so viel Souveränität zu geben, wie es sich der Gerichtshof der Europäischen Union zugesteht, orientiert sich an Fake News. Immerhin hat Polen 2007 – allerdings nach vielen Streitigkeiten – den Vertrag von Lissabon unterzeichnet, der die Verhandlungsgrundlage der heutigen Union ist.
Es muss zugegeben werden, dass der damalige Präsident Lech Kaczyński von einer anderen EU träumte, einer reinen Wirtschaftsunion, die nichts weiter als eine Maschine zur Geldverteilung zwischen den Nationalstaaten wäre. Nun versucht sein Bruder Jaroslaw, PiS-Chef und Intrigant, an die alte Idee anzuknüpfen. Aber damals gab es keine Mehrheit, und in Europa gibt es heute keine Mehrheit.
So versucht die polnische Regierung, unterstützt vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, die europäischen Mauern von innen niederzureißen. Es geht nicht darum, das polnische Recht gegen die Versuche Brüssels zu verteidigen. In fast allen Bereichen des täglichen Lebens, vom Strafrecht über Steuern, Gesundheit, Bildung bis hin zur öffentlichen Verwaltung, sind die EU-Mitglieder so autonom wie nie zuvor. Das gilt für Polen ebenso wie für Italien oder Dänemark.
Polen will einen anderen Staat
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) greift nur ein, wenn es um demokratische Grundsätze geht. Diese Fälle können beispielsweise den Gleichheitsgrundsatz für alle EU-Bürger betreffen, wie im Fall der LGBTQ-Gemeinschaft. Auch in diesem Fall hat der EuGH bereits über Polen entschieden. Es kann auch ein Grundprinzip der Demokratie sein, dass die Justiz frei und unabhängig sein muss. Der Streit mit Warschau um die systematische Ausweisung unabhängiger Anwälte und die Besetzung ihrer Stellen mit PiS-Anhängern dauert schon seit Jahren an.
Die von der polnischen Regierung verfolgte Staatsstruktur ist eindeutig nicht mehr als Demokratie nach europäischen Regeln gedacht. Die Entwicklung weist auf kontrollierte Regierungen mit autokratischen Zügen hin. Auf dem Weg zum Ziel wird meist erst die unabhängige Justiz ausgelöscht, dann die freie Presse und zuletzt die Zivilgesellschaft an die Wand gedrängt. Am Ende dienen die Wahlen nur der Stärkung der herrschenden Clique. Putins Russland zeigt, wie es am Ende aussieht.
Auch heute würde Polen einige der Kriterien für einen EU-Beitritt nicht erfüllen. Und für das autoritäre Regime, das Kaczyński und das Unternehmen derzeit versuchen, in der EU aufzubauen, wäre kein Platz. Die anderen Mitgliedstaaten haben einen schrecklichen Fehler begangen, indem sie ohne Einwände zugesehen haben, wie Orban anderen Osteuropäern einen Plan liefert, die Demokratie zu demontieren und sie durch autoritäre kleptokratische Herrschaft zu ersetzen.
Widerstehen Sie der weiteren Zerstörung Europas
Im Falle Polens müssen die Europäer dieser Entwicklung der Ereignisse jedoch endlich radikal ein Ende setzen. Dieses Land ist zu groß und zu strategisch wichtig. Als die Briten die EU verließen, war das klar. Sie kündigten ihre Mitgliedschaft und verließen sie nach langem Streit.
Die Regierung in Warschau versucht jedoch, die Festung von innen abzureißen, und die Spaltungskraft ist bei dieser Aktion viel größer. Der Niederländer Mark Rutte und andere nehmen die Situation wahr und erklären das Ende der Geduld. Vielleicht muss Merkels Methode, die auf einem endlosen Dialog auch mit den widerstrebendsten Mitgliedsstaaten beruhte, jetzt mit ihr in Rente gehen. Tschechiens Premier Andrej Babisz ist gerade abgesetzt worden, der Slowene Janez Jansza könnte bald in seine Fußstapfen treten – neue Autokratien in Osteuropa sind nicht unbedingt ein Erfolgsmodell.
Wenn Polen sich nicht mehr an die Spielregeln halten will, bleibt nur der Austritt aus der EU. Andernfalls muss die alte Idee eines Kerneuropas überdacht werden und Warschau könnte in die zweite Stufe der assoziierten Länder absteigen.
Auf jeden Fall muss die EU mit aller Kraft den polnischen Angriff abwehren und setzt dafür finanzielle Sanktionen ein. Warum sollte selbst ein deutscher oder niederländischer Steuerzahler die Autokratie von Jarosław Kaczyński finanzieren? Brüssel muss ihn jetzt aufhalten.
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