Skandal in Deutschland. Sensible Daten über Frauen sickern bei der Polizei durch und Extremisten bedrohen sie

Seit Monaten bedroht jemand die deutsche Politikerin Janine Wissler, die Schauspielerin İdil Baydar und die Anwältin Seda Başay-Yıldız. Die Täter wurden von den Behörden noch nicht identifiziert. Es scheint nun, dass die in den Drohungen verwendeten personenbezogenen Daten der Opfer aus öffentlich nicht zugänglichen Polizeidatenbanken stammen könnten. Ihre Mitglieder halfen entweder den Tätern oder gehörten – wie andere Indizien vermuten lassen – selbst zu Rechtsextremen.

Die deutschen Medien bemerken die Selbstsicherheit, mit der die Urheber von Mord- und Vergewaltigungsdrohungen auftreten. Seit der Fall von Ermittlern und Medien bearbeitet wird, bekommen die Frauen noch öfter Nachrichten. Sie verbindet ein von ihren Autoren gewählter Spitzname: NSU 2.0. Es ist eine Anspielung auf die heute nicht mehr existierende Neonazi-Gruppe National Socialist Underground (NSU).

Ihre Mitglieder haben in den letzten zwanzig Jahren neun Menschen ermordet und Dutzende von Anschlägen und Übergriffen begangen. Andere Berichte trugen die Unterschrift des „SS-Obersturmbannführers“, dh des Ranges von Angehörigen paramilitärischer Einheiten aus dem nationalsozialistischen Dritten Reich.

„Ich habe Angst vor der Polizei“ betraut jetzt Schauspielerin Baydar. Sie hat acht Mal Drohungen gemeldet, jedes Mal ohne Erfolg. Auch ihre persönlichen Daten wurden illegal aus polizeilichen Datenbanken heruntergeladen, ebenso die Daten des Linkspolitikers Wissler. Rechtsanwalt Başay-Yıldız, der die Familien der Opfer im NSU-Fall vertrat, erhielt bereits vor zwei Jahren die ersten Drohungen. Dem mit den Fällen befassten Polizeipräsidenten des Landes Hessen ist der mögliche Missbrauch der polizeilichen Datenbanken seit mindestens mehreren Monaten bekannt. Nun musste er zurücktreten.

Den Wisslers reicht das nicht. „Es geht um den Umgang mit Strukturen“, sagt er. Nach Angaben der Ermittler gibt es noch keine Hinweise darauf, dass diejenigen, die sensible Daten von Polizeicomputern heruntergeladen haben, dieselben Personen sind, die anschließend Drohungen verschickt haben. Allerdings besteht nach Angaben des dortigen Landesregierungschefs Peter Beuth (CDU) ein „ernsthafter Verdacht“, dass die Polizei an den Anschlägen beteiligt ist. Ermittler prüfen nach seinen Angaben auch intensiv die Möglichkeit, dass sie persönlich der rechtsextremen Szene angehören.

Die Ermittler bestätigten daraufhin, dass es neben den drei genannten Frauen weitere Opfer gibt, vermutlich nicht nur in Hessen. Bisher sind drei weitere öffentlich bekannt, auch linke Politiker. Sogar an sie adressierte E-Mails enthielten öffentlich nicht zugängliche Informationen. Die ersten Fälle des Herunterladens privater Daten aus polizeilichen Datenbanken Behörden im Jahr 2017 angesprochen. Die damals beteiligten Polizisten zeigten eine Verbindung zur rechtsextremen Szene.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beharrt darauf, dass die Schwierigkeiten der deutschen Polizei, die formell in seine Zuständigkeit fallen, sie sind nicht systemisch. Im Juli wurde bekannt, dass er zwei anstehende Studien abgesagt hatte, die sich mit möglichen Erscheinungsformen von Rassismus oder Rechtsextremismus in Polizeikräften befassten. Sowohl Rassismus als auch Antisemitismus stehen laut der deutschen Abwehr in den allermeisten Fällen im Zusammenhang mit Rechtsextremismus.

Führen Sie eine Studie zu Rassismus in Deutschland durch bereits im Dezember zu empfehlen Im vergangenen Jahr brachten die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) und die Juni-Unruhen in den USA die Debatte über möglichen Rassismus in der Polizei an die Öffentlichkeit. Nach den ursprünglichen Aussagen Deutsches Innenministerium Im vergangenen Juni sollte beispielsweise eine Studie zeigen, ob Polizisten Angehörige nationaler Minderheiten überproportional häufig anhalten und kontrollieren. (Praxis namens Racial Profiling auf Englisch).

Seehofers Ministerium sprach von der Studie zunächst, sie sei „in Planung“, bezeichnete die Aussage später jedoch als unzutreffend, das Dokument hätte niemals erstellt werden dürfen. Laut Minister ist das so Racial Profiling Verbotene und ähnliche Veranstaltungen seien nur „absolute Ausnahmefälle“.

Seehofer will warten

Der deutsche Spionageabwehr bereitet bereits einen Bericht über allgemeine extremistische Tendenzen in der deutschen Staatsverwaltung vor. Das Innenministerium soll es laut Seehofer Ende September dieses Jahres vorlegen. Dies ist die allererste derartige Analyse in der Geschichte Deutschlands.

Gleichzeitig will Seehofer abwarten, bis die einzelnen Landespolizeien die bereits beschlossenen Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus umsetzen. Der Minister hält die Kritik an Polizisten für „teilweise Verleumdung“. Laut dem Wochenblatt Spiegel Schon jetzt wächst die Sorge, dass die laufenden Ermittlungen nicht so gründlich sein werden wie ursprünglich geplant.

Die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster will weiter forschen. „In den vergangenen Monaten mehrten sich Hinweise auf mögliche rechtsextreme Einstellungen bei der Polizei“, heißt es in der Begründung. die Spiegel hat erhältlich. Es soll sich unter anderem damit befassen, wie die Polizei intern mit Verdachtsmomenten extremistischer Tendenzen umgeht.

Bei Drohungen aus Hessen beispielsweise stoßen Ermittler laut Medien auf eine „Mauer des Schweigens“, wenn sie die Polizei selbst befragen. Eigentlich sollte das Bundesinnenministerium die Umfrage finanzieren, doch laut Wochenzeitung ist die Entscheidung über die Vergabe von Geldern festgefahren, obwohl die Schule früher Unterstützung von Beamten hatte.

Wie groß ist das Problem?

Die erstgenannte Studie könnte aber trotz Seehofers Zurückhaltung irgendwann stattfinden, wie SPD-Justizministerin Christine Lambrecht beharrt. Generell steht ihre Partei möglichen Übergriffen der Polizei deutlich kritischer gegenüber. SPD-Vorsitzende Saskia Eskenová hält das Problem für „offensichtlich strukturell“ und fordert die Politik auf„endlich konsequent handeln“. Boris Pistorius, auch der sozialdemokratische Innenminister des Landes Niedersachsen, brachte daraufhin am Freitag den Vorschlag ein, die Studie ungeachtet des Willens Berlins von den einzelnen Bundesländern gemeinsam durchführen zu lassen.

Nach Informationen des Süddeutschen Rundfunks (SWR)Gegen 65 Polizisten wurde in Deutschland in den letzten fünf Jahren wegen des Verdachts rechtsextremistischer Verbindungen ermittelt, derzeit bearbeiten die Behörden 35 Fälle. Meist handelte es sich dabei um Volksverhetzung gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen oder die Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen. Dazu gehören zum Beispiel das Hakenkreuz und andere NS-Symbolik.

Wie aus der jüngsten Analyse der deutschen Spionageabwehr hervorgehtDie Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten im Land nimmt weiter zu. Im vergangenen Jahr waren es im Vergleich zum Vorjahr ein Zehntel davon, vor allem Drohungen. Der Bericht wurde etwa zeitgleich mit der Hessen-Affäre vom Verfassungsschutz herausgegeben. Dass Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu den größten Bedrohungen Deutschlands gehören, hat Minister Seehofer schon lange eingeräumt.

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Aldrich Sachs

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