Union Berlin übernimmt die fußballerische Macht in der deutschen Hauptstadt

Während der Union-Star aufsteigt und seine Fans zu Recht von einer Teilnahme an der europäischen Eliteszene träumen, droht dem einst dominierenden Verein der Hauptstadt, Hertha Berlin, der zweite Platz. Jedes Jahr führt das kicker-Magazin vor dem Start einer neuen Bundesliga-Saison eine Meinungsumfrage durch. Einer der abgefragten Punkte betrifft mögliche Abstiegskandidaten in die zweite Liga. 2019 war Union Berlin gerade in die Elite aufgestiegen, und 51 % von 105.000 befragten Usern glaubten nicht, dass der bescheidene Club im Südosten Berlins die Voraussetzungen hatte, den Schlägen der ersten Liga standzuhalten. Er hielt nicht nur mit, sondern lag in der Gesamtwertung am Ende der Saison auf einem achtbaren 11. Platz, punktgleich mit seinem reichen Erzrivalen Hertha Berlin. 2020 wurde eine erneute Umfrage durchgeführt, diesmal waren 30 % von 144.000 Usern noch skeptisch gegenüber dem „Unioner“. Neue Überraschung. Der Verein landete dieses Mal auf dem 7. Platz und sicherte sich einen Platz in der neu geschaffenen Europa Conference League. Dass Union vor der aktuellen Saison 21/22 nicht einmal auf der Liste der Abstiegskandidaten stand, versteht sich von selbst. Als wahrscheinlichste Opfer der Enthauptung wurden Greuther Fürth, Arminia Bielefeld und Bochum identifiziert. Während der Stern der „Schmieden“ von Köpenick (einem Kiez am bukolischen Stadtrand von Berlin) aufgeht, stürzt der bislang dominierende Verein der Hauptstadt, Hertha Berlin, in eine schwindelerregende technische Krise und gerät in akute Gefahr, seine Koffer zu packen und eine zweite Saison verbringen. Ganz zu schweigen davon, dass er seine jahrzehntelange Vorherrschaft in der Fußballszene der Hauptstadt an seinen Erzrivalen Union verlor. Verloren auf drei Ebenen. Er hat lange wie ein Hahn gekräht, er kräht nicht mehr. Die „alte Dame“ wird von den „Schmieden“ überholt In der Bundesliga belegt das seit 2018 von Trainer Urs Fischer geführte Team aktuell den vierten Tabellenplatz, da es die Teilnahme an der begehrten Champions League garantiert. Unterdessen schwebt Hertha auf Platz 13, nur noch drei Punkte vom Hoffnungslauf und vier vom direkten Abstieg entfernt. Beim DFB-Pokal standen sich die beiden Mannschaften am vergangenen Mittwoch (19.01.) im Berliner Olympiastadion im Achtelfinale gegenüber. Es war Herthas große Chance, die Saison zu retten, auch wenn das Endspiel dieses Turniers ausnahmslos in diesem Stadion, ihrer Heimat, ausgetragen wird. Nichts getan. Endstand deutete auf Union 3×2 Hertha. Auch in der Zahl der Partner wurde die „alte Dame“ von den „Schmieden“ übertroffen. Der letzte Score vom Dezember 2021 zeigte einen kleinen Vorsprung zu den Letzten: 40.725 x 40.051. Das ist keine Kleinigkeit, vor allem wenn man außerfachliche Faktoren wie ihre Herkunft und wirtschaftlich-finanzielle Aspekte berücksichtigt. Die Bild-Zeitung gibt nicht auf: „Union ist jetzt der Big City Club! Und Hertha ist nur die Nummer 2. Daran kann man nichts ändern!“ Wahrheit. In der direkten Konfrontation der beiden in der laufenden Saison reichte nur noch Union. Ein Sieg in der ersten Runde der Bundesliga und ein weiterer im Achtelfinale des DFB-Pokals. Ganz zu schweigen von den abgrundtiefen technischen Unterschieden zwischen den beiden Teams. „Union hat alles, was Hertha gerne hätte“ Der Berliner Tagesspiegel brachte es nach dem spektakulären Pokalsieg im Achtelfinale gleich auf den Punkt: „Union hat alles, was Hertha gerne hätte, aber sie nicht: ein Spiel Plan, eine taktische Struktur, ein funktionierendes Team, die Überzeugung von der eigenen Stärke und, vielleicht am wichtigsten, Kontinuität.“ Seit der Schweizer Trainer Urs Fischer 2018, als der Klub noch Zweitligist war, die Mannschaft übernahm, haben Hertha nicht weniger als sechs Trainer durchlaufen, darunter auch der beliebte Jürgen Klinsmann. Und dann ist da noch Oliver Ruhnert, der Sportdirektor, der es seit 2017 geschafft hat, ein Team aufzubauen, das wie ein Schweizer Uhrwerk zu funktionieren scheint. Anders als bei Hertha hat Union Spieler abgebaut, die sonst niemand wollte, die aber am Ende ein Kollektiv bildeten, um das man sich beneidet. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der 32-jährige Stürmer-Routinier Max Kruse hätte 2020 von Hertha verpflichtet werden können, doch dann fand ihn Sportdirektor Michael Preetz zu teuer und zu unzuverlässig. Heute ist Kruse mit sechs Toren und sieben Vorlagen in den beiden nationalen Turnieren einer der wichtigsten Protagonisten von Union und einer der führenden Spieler auf dem Platz. Die Fans von Union Berlin träumen zu Recht von der Teilnahme an der europäischen Eliteszene, doch Routinier Urs Fischer bleibt lieber auf dem Boden: „Wir werden alles tun, um in der Bundesliga zu bleiben. Reiner Profit.“ Einen Gewinn, wenn auch einen symbolischen, hat Union bereits erzielt. Der Verein ist mittlerweile die unangefochtene Nummer 1 in Berlin. _______________________________ Gerd Wenzel begann seine Laufbahn im Sportjournalismus 1991 bei TV Cultura in São Paulo, als die Bundesliga erstmals in Brasilien ausgestrahlt wurde. Von 2002 bis 2020 war er auf ESPN-Kanälen als Experte für den deutschen Fußball tätig, bevor er für OneFootball Berlin Bundesliga-Spiele kommentierte. Wöchentlich donnerstags produziert sie den Podcast „Bundesliga no Ar“. Die Halbzeit-Kolumne erscheint dienstags. Der Text gibt die Meinung des Autors wieder, nicht unbedingt die der DW. Autor: Gerd Wenzel

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