„Wenn natürlich der Strom tschechischer Autos an den Kreuzungen massiv wird, dann kann das auch eine positive Dimension haben.“
Überfälle von Tschechen auf mit Billigwaren gefüllte polnische Märkte sind zu einem Phänomen geworden, das die ganze Misere des Einzelhandels und damit der gesamten heimischen Wirtschaft erklären kann. Das ist die weitverbreitete Meinung, der auch Minister zustimmen. Einige von ihnen machten die Lebensmittelmagnaten unter der Führung von Andrej Babiš als Schuldige dieser Misere aus, die ungeachtet der Verarmung Böhmens die Preise aggressiv erhöhten und nun Milliardengewinne verbuchen.
Tatsächlich handelt es sich eher um die übliche Feiertagsende-Hysterie, wie einige Zufallszahlen belegen. Das Finanzministerium erklärte offiziell, dass die Ausgaben der Tschechen in Polen und anderswo im Ausland im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres um 10 Milliarden Kronen gestiegen seien. Der Halbjahresumsatz des Einzelhandels erreicht eine Billion, so viel Geld ist es also nicht mehr.
Angesichts der aufgeregten Schreie über die hohen Preise im Inland ist es offensichtlich, dass die Tschechen am meisten unter den Lebensmittelpreisen leiden. Das macht Sinn, denn Lebensmittel sind neben Energie für Haushalte tatsächlich teurer geworden. Dennoch kann von einer Katastrophe keine Rede sein, zumindest angesichts der Juli-Zahlen von Eurostat, denen zufolge die inländischen Lebensmittelpreise im Jahresvergleich mit dem fünftniedrigsten Tempo in der Europäischen Union steigen.
Allerdings muss man zugeben, dass es hier trotz der relativ niedrigen Inflation im Jahresvergleich nicht um Ruhm und Ehre geht. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Lebensmittelpreise im Jahr 2021 durchschnittlich um ein Drittel, nur neun osteuropäische Länder verzeichneten höhere Preise. Detailliertere Daten zeigen auch, dass es noch schlimmer hätte ausfallen können, wenn die Lebensmittelinflation in der Tschechischen Republik nicht durch eine größere Menge importierter Waren abgemildert worden wäre.
Der Preisverfall in allen postkommunistischen Ländern lässt sich damit erklären, dass lokale Oligopole den Lebensmittelhandel übernehmen, wie die Minister befürchten. Der Grund für den höheren Preis könnte aber auch in der geringeren Effizienz ehemals sozialistischer Agrarbetriebe liegen.
Kraftstoff ist ein weiterer Rohstoff, der grenzüberschreitend gehandelt werden kann, doch das derzeitige grenzüberschreitende Angebot könnte nur völlig uninformierte Autofahrer begeistern. Die Benzin- und Dieselpreise sind im Vergleich zu 2021 europaweit gestiegen, zumindest in Portugal, Irland und der Tschechischen Republik.
Anschauliche Videos mit Streams von Tschechen, die für billige Lebensmittel und andere Waren ins Ausland reisen, sind derzeit nicht verfügbar. Es ist daher durchaus möglich, und einige Beispiele belegen dies, dass die Mehrheit der tschechischen Kunden aus Geschäften im Ausland weiterhin Menschen sind, die in Grenznähe wohnen und für die polnische Märkte oder deutsche oder österreichische Discounter schon immer eine Alternative waren.
Wenn die Strömungen tschechischer Autos an Kreuzungen natürlich doch gewaltig sind, dann kann das auch eine positive Dimension haben. Ein älterer Mann aus Nachodsk begann aufgrund der Nachricht über billige Waren mit dem Auto über die polnische Grenze. Was er jedoch heute an seinen Nachbarn am meisten bewundert, ist die Art und Weise, wie sie zuvor vernachlässigte Städte reparieren und ihren öffentlichen Raum wiederbeleben können.
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