Gespräche über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Hoffnungen und Zweifel | Deutschland – aktuelle deutsche Politik. DW-Nachrichten auf Polnisch | DW

Es könnte „die größte Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg“ werden, die „die Welt verändern“ wird – diese nachdrücklichen Worte von US-Präsident Joe Biden beschreiben die Befürchtungen des Westens vor der Konzentration russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine. Gleichzeitig versucht der Westen, Präsident Wladimir Putin vor den Folgen der Invasion zu warnen. „Der Preis wird hoch sein“, drohte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Einige westliche Staats- und Regierungschefs setzen große Hoffnungen in die heute (26. Januar 2022) in Paris beginnenden Gespräche zur Lösung des drohenden neuen Konflikts. Erstmals seit der Eskalation der aktuellen Spannungen in der französischen Hauptstadt treffen offizielle Vertreter der Konfliktparteien sowie Deutschlands und Frankreichs auf Beratungsebene zusammen.

Gespräche im sogenannten Normandie-Format wurden 2014 initiiert. Damals ging es um die Beilegung des Konflikts in der Ostukraine. Die Vermittlung von Berlin und Paris führte 2015 zum Abschluss des Minsker Abkommens. Kiew und Moskau werfen sich gegenseitig vor, regelmäßig gegen die Minsker Vereinbarungen zu verstoßen. Seit 2019 gibt es keine Gespräche im Normandie-Format.

Treffen beim Gipfel im sogenannten Normandie-Format im Dezember 2019 in Paris

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte vor der Wiederaufnahme der Beratungen am Mittwoch, er erwarte von Russland klare Schritte, die zur Deeskalation beitragen würden. Die Gespräche sollen humanitäre Fragen sowie die Zukunft der Ukraine betreffen. Außerdem sollen die Teilnehmer der Konsultationen einen Termin für Verhandlungen zwischen der Ukraine und kremlfreundlichen Separatisten über den Sonderstatus der Donbass-Region festlegen.

„Alles könnte passieren“

Der Leiter des Büros des ukrainischen Präsidenten, Andriy Yermak, zeigte sich zufrieden, dass es überhaupt zu Gesprächen gekommen sei. Nach Ansicht des Chefs der ukrainischen Diplomatie, Dmytro Kuleba, ist im Konflikt mit Russland derzeit nichts auszuschließen. „Wir befinden uns buchstäblich in einer Situation, in der alles passieren kann“, sagte Kuleba gegenüber US CNN. Er fügte hinzu, dass, wenn Russland bereit ist, ohne versteckte Absichten zu handeln, die Möglichkeit besteht, dass nach den Verhandlungen Vereinbarungen bekannt gegeben werden. Gleichzeitig betonte der Minister, dass die Ukraine ein unabhängiges Land sei und nicht einfach nach den Vorgaben irgendeiner Supermacht handeln werde.

Die Leiter der Diplomatie Deutschlands Annalena Baerbock und der Ukraine Dmytro Kuleba

Die Leiter der Diplomatie Deutschlands Annalena Baerbock und der Ukraine Dmytro Kuleba

Polen zweifelt am Normandie-Format

Für Deutschland sind die Gespräche von besonderer Bedeutung. In diesem Format versucht Berlin, seinen Beitrag zur Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts zu leisten. Aber unter den westlichen Partnern gibt es keinen Zweifel am Sinn von Gesprächen in einer solchen Gruppe, zumal die USA sich dem Konflikt angeschlossen haben und direkt mit Russland sprechen. Der stellvertretende polnische Außenminister Szymon Szynkowski vel Sęk etwa meint, man könne es sich nicht leisten, Russland „einen Laden mit Gesprächsformaten vorzuschlagen, Moskau soll sich eines aussuchen“. Aus polnischer Sicht sind nur drei Formate wichtig: der bilaterale Dialog zwischen den USA und Russland, der Dialog zwischen der NATO und Russland und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Normandie-Format ist nicht hier. – Welche Probleme können jetzt im Normandie-Format gelöst werden, die seit Jahren nicht gelöst wurden? – fragt der stellvertretende polnische Minister.

Zweifel an Deutschland

Im Hintergrund ist eine andere Frage relevant: Wie sehr kann man sich auf die Deutschen als neutralen Partner verlassen? Vor allem bei Verbündeten im Osten der EU wächst die Kritik an der deutschen Haltung gegenüber Russland. Die Kernfrage lautet: Wie glaubwürdig ist ein Land im Russland-Ukraine-Konflikt, das im Energiesektor Milliardengeschäfte mit Russland macht? Und wer profitiert davon und ist ein lieber Freund von Präsident Putin?

Der russische Präsident Wladimir Putin und der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder

Der russische Präsident Wladimir Putin und der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder

Dass der inzwischen zurückgetretene deutsche Marinekommandant Kay-Achim Schönbach sein Verständnis für Putin bekundet hat, bestätigt für viele Menschen das Klischee von Deutschland als einem Land, das „Russland versteht“. Auch in den USA gibt es Zweifel, ob man sich in der Krise um die Ukraine auf Deutschland verlassen kann. Je mehr der Konflikt eskaliert, desto mehr kritische Fragen von Journalisten zur Einschätzung der Rolle Deutschlands in dem Konflikt richten sich an die Regierung in Washington.

Problem Nord Stream 2

Einer der Gründe für diese Situation ist die Gaspipeline Nord Stream 2. Es soll Gas direkt von Russland nach Deutschland transportieren. Bisher floss Gas durch Gaspipelines, die durch die Ukraine verlaufen. Im Falle eines Konflikts könnte die Ukraine den Transport blockieren, was Putin nicht nur Ärger mit Handelspartnern, sondern auch Einkommensverluste aussetzen würde.

Die Gaspipeline Nord Stream 2 wurde im September 2021 fertiggestellt und wartet auf die Genehmigung für die Inbetriebnahme

Die Gaspipeline Nord Stream 2 wurde im September 2021 fertiggestellt und wartet auf die Genehmigung für die Inbetriebnahme

Beobachter befürchten, dass Russland mit dem Start von Nord Stream 2 einen Grund weniger hat, den Konflikt mit der Ukraine friedlich zu lösen. Auch deshalb taucht das Problem der Gaspipeline im Hintergrund der Pariser Gespräche auf. Die USA erwarten eindeutig, dass die russische Invasion in der Ukraine das Ende von Nord Stream 2 bedeuten muss.

(DW, DPA, AFP/widz)

Aldrich Sachs

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