Zuerst das Positive: Der Wahlkampf in Deutschland ist endlich in vollem Gange. In der Fernsehsendung mit den Kandidaten für das Amt des Regierungschefs dauerte es nicht lange, bis es zur Konfrontation zwischen den Hauptgegnern kam. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hat vergangene Woche im Finanzministerium eine Durchsuchung des SPD-Kandidaten Olaf Scholz durchgeführt. Es geht um Geldwäsche, oder besser gesagt, ob Scholz in seiner Funktion als Minister energisch genug dagegen vorgegangen ist.
Angriff und Konter
Der Kandidat der Christlich Demokratischen Union (CDU), Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, griff Scholz frontal an: „Wenn mein (Landes-)Finanzminister so arbeiten würde wie Sie, hätten wir ein Problem.“ Scholz entgegnete, sein Ministerium sei nicht Gegenstand von Ermittlungen, sondern die Staatsanwaltschaft wolle nur Informationen erhalten: „Herr Laschet, Sie müssen akzeptieren, dass ich Ihnen vorwerfe, dass Sie mit Absicht einen falschen Eindruck erweckt haben.“
Nur zwei Wochen vor den Wahlen wird die Debatte hitzig geführt und in diesem Dreikampf spürt man, dass sich die Zeiten geändert haben. Jahrzehntelang bewarben sich nur Kandidaten von CDU und SPD um den Kanzlerposten. Jetzt gibt es drei Gegner. Zu ihnen gesellt sich die Chefin der Partei Los Verdes, Annalena Baerbock.
Laschet geht in die Offensive
Laschet hat in den letzten Tagen seine zurückhaltende Haltung, die er über einen Großteil der Saison hatte, aufgegeben und ist ohne Alternative in die Offensive gegangen. Bei einer Anerkennung der jüngsten INSA-Umfrage würde die SPD 26 Prozent der Stimmen bekommen. Auf die CDU und ihre Schwesterpartei im Freistaat Bayern (CSU) kommen rund 20 Prozent. Und Los Verdes, 15 Prozent. Und das, obwohl die CDU lange Zeit in Führung lag.
Die Sozialdemokraten haben die Christdemokraten erst in den letzten Wochen überholt. Deshalb griff Laschet die SPD weiter an. Auf einem CSU-Kongress in Bayern sagte er wörtlich: „Bei allen Entscheidungen der Nachkriegszeit standen die Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite.“ Immer wenn es Krisen gab, habe die SPD darüber nachgedacht, Steuern zu erhöhen und Schulden zu machen. Die SPD antwortete, dies sei eine „schmutzige Kampagne“.
Annalena Baerbock hört erleichtert zu
Annalena Baerbock, die bis vor wenigen Monaten führende Kandidatin der Los Verdes, mischte sich kaum in den Konflikt zwischen den beiden Männern ein. Da sie sich ständig unterbrachen, schwieg Baerbock. Vor allem, weil sie in vielen Ausgaben von Details sprachen, von Differenzen in den Nuancen der Positionen.
Die Lehren aus der Coronavirus-Krise? Annalena Baerbock lehnte eine Impfpflicht für bestimmte Gruppen wie Ärzte und Gesundheitspersonal nicht kategorisch ab. Laschet und Scholz tun es. Die Rückständigkeit der Digitalisierung in Deutschland? Baerbock kritisierte, dass CDU und SPD in 16 Jahren Regierungszeit weder dem Kampf gegen den Klimawandel noch der Aufgabe, die Digitalisierung voranzutreiben, Priorität eingeräumt hätten. Die Grünen wollen demnach 50.000 Millionen Euro in die Infrastruktur, in den Ausbau des Bahnnetzes und in Windparks investieren. Der Kandidat mahnte, jetzt müsse gehandelt werden, andernfalls werde es „wirklich teuer“.
Baerbock sieht entspannt und selbstbewusst aus, was auch damit zu tun hat, dass sie weiß, dass sie inzwischen praktisch keine Chance hat, Kanzlerin zu werden. Weniger ambitioniert sind die Pläne von Scholz und Laschet. Beide wollen den Benzinpreis aus Umweltschutzgründen moderat anheben.
Außenpolitik? Es ist kein Thema!
Zwei Wochen vor den Wahlen überwiegt die Innenpolitik. Sie sprechen über Renten, Steuern, Bürokratie und die Idee der Bürgerversicherung. Es wird deutlich wahrgenommen, dass SPD und Grüne in diesen Fragen engere Positionen einnehmen. Außenpolitik hatte in der Debatte fast keinen Platz: Über Afghanistan oder den Jahrestag der Anschläge vom 11. September wurde kein Wort verloren. Weder wurden Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus angesprochen, noch die Spaltung der Gesellschaft.
Scholz, Gewinner der ersten Umfragen
Die Debatte war hitzig, aber das bedeutet nicht, dass die Deutschen jetzt besser wissen, welche Partei sie am 26. September wählen werden. Laut Umfragen sind 30 Prozent der Wähler noch unentschlossen.
Armin Laschet sagte in seinen letzten Worten, er wolle den Menschen nicht vorschreiben, was sie denken sollen. Baerbock betonte, dass gerade im Kampf gegen den Klimawandel echte neue Impulse nötig seien. Und Scholz erklärte, es gehe um die Zukunft Deutschlands und vor allem um eine neue Solidarität, die sich bereits während der Pandemie und des Sommerhochwassers manifestiert habe.
Eine Blitzumfrage der TV-Sender ARD und ZDF zur Mitte der Debatte gab Olaf Scholz den klaren Sieger.
(äh / rm)
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