Die Zeit drängt: Schon in wenigen Jahren wird niemand mehr für seine Rolle im NS-Regime bestraft werden können, da die Angeklagten nicht mehr leben oder zumindest nicht mehr straffähig sind.
Damit beschäftigen sich derzeit die deutschen Gerichte 17 Verdächtige, von denen keiner unter 95 Jahre alt ist. Vor dem Landgericht Neuruppin in Brandenburg steht ab diesem Donnerstag (7.) ein Hundertjähriger, der Wärter im KZ Sachsenhausen war.
- 100-jähriger Deutscher, der in einem Konzentrationslager arbeitete, konnte sich wegen NS-Verbrechen verantworten
Sehen Sie sich ein Video aus dem Jahr 2018 über den Prozess gegen einen anderen ehemaligen Nazi-Konzentrationslagerwärter an.
Der Prozess gegen den ehemaligen Nazi-KZ-Aufseher beginnt
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, zwischen 1942 und 1945 „bewusst und freiwillig“ an der Ermordung von Häftlingen beteiligt gewesen zu sein – in rechtlicher Hinsicht Mitschuld an Mord in 3.518 Fällen.
Konkret hätte der Angeklagte trug zur Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener bei und war Komplize bei Gaskammermorden. Andere Lagerinsassen hätten ihr Leben „durch die Schaffung und Aufrechterhaltung existenzfeindlicher Zustände“ verloren..
Versteckt in Militärarchiven in Moskau
Während der NS-Zeit spielte das Lager Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin eine besondere Rolle: Seit seiner Eröffnung 1936 diente es als Lager Modell für andere Installationen des Genres. Später wurde es das Verwaltungszentrum des gesamten Konzentrationslagersystems und beherbergte das Ausbildungszentrum der paramilitärischen SS („Schutzstaffel“) der Nazis.
Karte zeigt den Standort des Lagers Sachsenhausen bei Berlin — Foto: G1 Mundo
Insgesamt waren mehr als 200.000 Personen im Feld eingesperrt. Zehntausende wurden erschossen, vergast, Opfer schrecklicher medizinischer Experimente oder einfach der unmenschlichen Bedingungen. Noch im April 1945, als die Rote Armee fast bei Oranienburg war, zwang die SS mehr als 30.000 Häftlinge auf „Todesmärsche“, die Tausende nicht überlebten.
Generalstaatsanwalt Thomas Will erklärt der DW, warum das Verfahren gegen den Wächter erst jetzt stattfindet: „Der Angeklagte war uns bis zu unserer Recherche in den sogenannten ‚Raubakten‘ der Roten Armee überhaupt nicht bekannt Staatliches Militärarchiv Moskau. Nach seiner Auffindung und Vorermittlungen zu seiner Herkunft und Dienstzeit in Sachsenhausen haben wir den Fall an die Staatsanwaltschaft übergeben.“
Will leitet die NS-Verbrechensstelle in Ludwigsburg, Baden-Württemberg. Das Büro sammelt seit seiner Gründung im Jahr 1958 Informationen für Ermittlungen zu NS-Verbrechern.
Tötungsdelikte sind nicht vorgeschrieben
Macht es Sinn, einen Hundertjährigen wegen Taten vor 80 Jahren zu verklagen, jemanden, der ein relativ kleines Rädchen im gigantischen Rädchen der Nazi-Todesmaschinerie war? Nach Meinung von Thomas Will ja.
„Einerseits hat die Deutsche Justizministerkonferenz im Juni 2015 beschlossen, dass das Werk Ludwigsburg in seiner jetzigen Form so lange erhalten bleibt, wie es Aufgaben der Strafverfolgung gibt, also solange die Täter gefunden werden können“, sagt er erklärt.
„Auf der anderen Seite, Das Gesetz schließt die Verjährung von Mordtaten aus, insbesondere im Zusammenhang mit NS-Massenverbrechen“, fährt er fort. „Die Frage ist also nicht, ob diese Verbrechen heute noch verfolgt werden sollten, weil sie verfolgt werden müssen. Ziel eines Strafverfahrens ist immer die strafrechtliche Feststellung der individuellen Schuld.“
Die Vorstellung, was eine solche individuelle Schuld darstellen kann, hat sich in der Justizpraxis jedoch seit dem Urteil gegen den ehemaligen Wachmann John Demjanjuk im Jahr 2011 geändert. Bis dahin war der Nachweis einer direkten persönlichen Beteiligung an den Morden Voraussetzung für eine strafrechtliche Verfolgung. Ehemalige KZ-Aufseher hatten sich bereits in den 60er und 70er Jahren an der Verfolgung von NS-Verbrechen beteiligt, allerdings nur als Zeugen.
- Der Nazi-Verbrecher John Demjanjuk stirbt im Alter von 91 Jahren in Deutschland
Was sich vor rund zehn Jahren geändert hat, ist, dass „die Ausübung der Funktion im Konzentrationslager im Allgemeinen bei erkennbaren systematischen Mordtaten eine Strafe wegen Mittäterschaft rechtfertigen kann, wenn die Erkenntnisse während des Hauptverfahrens diese These stützen“, heißt es Wille.
Der Fall Demjanjuk ebnete den Weg für neue Verurteilungen
John Demjanjuk wurde im Alter von 91 Jahren in München wegen Beihilfe zu mehr als 28.000 Mordfällen zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil lautete, er sei Teil der Vernichtungsmaschinerie der Nazis gewesen.
Seitdem wurden mehrere weitere Männer verurteilt, weil sie nach Angaben der Gerichte durch ihre Wachtätigkeit die begangenen Verbrechen beobachtet und gewusst haben, dass systematisch Morde begangen oder Gefangene unterernährt und in Todesabsicht misshandelt wurden (“ von bewusst und willentlich“).
Das jüngste Urteil in diesem Zusammenhang fiel im Juli 2020, als das Hamburger Landgericht einen ehemaligen Wachmann des Lagers Stutthof bei Danzig wegen Beihilfe zu 5.232 Mordfällen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilte. . Damals war er 93 Jahre alt.
Ob die wenigen verbleibenden Ermittlungen zu Gerichtsverfahren führen oder nicht, hängt von der Fähigkeit der angeklagten Ältesten ab, sich zu beteiligen. Die Ärzte sagten, der 100-jährige ehemalige Wachmann, dessen Prozess an diesem Donnerstag beginnt, könnte in zwei bis zweieinhalb Stunden vor Gericht erscheinen. Die Anhörungen sind bis Januar 2022 angesetzt. Dem Angeklagten wird eine spezielle Toilette zur Verfügung stehen.
Sehen Sie sich die meistgesehenen Videos von g1 an
„Web pioneer. Typical pop culture geek. Certified communicator. Professional internet fanatic.“