Ukrainisches Gambit. Wird Deutschland seine Politik gegenüber Russland und der Ukraine ändern?

Berlins eifrige Haltung gegenüber der drohenden russischen Invasion in der Ukraine spaltet die deutsche öffentliche Meinung. Experten fordern eine Wende in der deutschen Ostpolitik.

Ein Beispiel ist die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vom Sonntag, in der einerseits der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem gemeinsamen Artikel mit Janusz Reiter, ehemaliger polnischer Botschafter in Deutschland und den USA, den EU-Staaten mangelnde Bereitschaft dazu vorwirft den Frieden fest verteidigen. Auf der anderen Seite argumentiert der frühere bayerische Ministerpräsident Markus Söder, dass Russland „kein Feind Europas“ sei, während die NATO sich verpflichtet habe, Polen zu verteidigen, aber nicht die Ukraine, und Deutschland sich mehr um Realpolitik kümmern sollte – sowohl um moralische Werte als auch um seine eigene Interessen. Und das Fazit: Es macht keinen Sinn, weitere Sanktionen zu verhängen, die ohnehin nicht wirken, und sowohl die Waffenübergabe Deutschlands an die Ukraine als auch der NATO-Beitritt der Ukraine sind auf absehbare Zeit undenkbar.

Übrigens: Für eine ähnliche Äußerung, die die Bedrohung durch Putin herunterspielte, der angeblich nur als Anführer einer Großmacht mehr respektiert werden wolle, wurde gerade der Inspekteur der deutschen Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, entlassen .

Wójcik: Oder vielleicht kommen sie rein …

Experten fordern Veränderungen

Deutscher Streit um Ostpolitik strafft sich. Mitte Januar kritisierten 73 Experten der deutschen Ostpolitik scharf die Passivität aufeinanderfolgender Regierungen gegenüber der russischen Militäraneignung in der ehemaligen UdSSR – von der Besetzung des moldawischen Transnistriens durch die 14 Ostukraine. Wie die Autoren schrieben, sollte Deutschland endlich von seinem Sonderweg in den Beziehungen zu Russland abweichen und Entwicklungs-, Kultur- und Bildungszusammenarbeit mit der Ukraine, Georgien oder Moldawien nur noch als eine Art „Ablasshandel“ in der Ostpolitik behandeln.

„Die von Nazi-Deutschland 1941–44 auf dem Gebiet des heutigen Russland begangenen Verbrechen sind nicht geeignet, die deutsche Zurückhaltung bei der Reaktion auf den Revanchismus und Nihilismus des Kreml gegenüber dem Völkerrecht zu rechtfertigen“, schreiben die Experten. „Vor allem, wenn es – wie im Fall der Ukraine – um den russischen Einmarsch in das Territorium einer anderen völkerrechtlich anerkannten Nation geht, die ebenfalls Opfer des einstigen deutschen Expansionismus geworden ist. Man darf die von Moskau offiziell akzeptierten andauernden demonstrativen Verstöße gegen die Grundprinzipien der UNO, der OSZE und des Europarates in Osteuropa und jetzt auch in Nordeuropa nicht hinnehmen“.

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Lassen Sie die Nord Stream ausschalten

Experten forderten eine Korrektur der deutschen Moskau-Politik, skizzierten aber außer dem Vorschlag, Nord Stream 2 zu blockieren, keine Details einer Alternative Ostpolitik gegenüber Russland. Die neue Außenministerin Annalena Baerbock kam bei ihrem Antrittsbesuch zunächst in Kiew, dann in Moskau mit den Tatsachen in Berührung. In Kiew verbeugte sie sich vor den Porträts der „Himmlischen Hundert“ – Opfer des Beschusses im Januar 2014 durch Demonstranten auf dem Maidan. Doch Daria Kaleniuk vom ukrainischen Zentrum für Antikorruptionsaktivitäten reagiert auf Annalenas Gesten und Worte nur mit Galgenhumor: Wenn die Deutschen aus Schuldgefühlen gegenüber den Russen den Ukrainern keine Verteidigungswaffen liefern können, sollen sie wenigstens die Nord Stream abstellen .

Für die Ukrainer dauert die russische Aggression seit 2014 an. Heckenschützen sorgen täglich dafür, dass ein ukrainischer Soldat oder Zivilist an der Front im Donbas getötet wird, schreibt Gerhard Gnauck aus Kiew in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das reicht, um zu den Nachrichten zu gelangen. Offenbar ist die Spannungslage so offensichtlich, dass die gegenwärtige Truppenkonzentration die Ukrainer nicht sonderlich beeindruckt.

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Putin muss nicht angreifen

Die Schriftstellerin Oksana Zabużko schrieb auf Facebook, sie sei es schon leid, panische Freunde im Westen zu beruhigen: „Panik ist der wahre Feind der Ukraine. Anstatt unser Leben zu leben, kreativ zu sein, aufzubauen, zu denken, uns zu entwickeln, ertränken wir unsere Energie und befreien uns.“ Zeit in schwarzem Latein „Putins Plan“ genannt. Es sei eine Rückkehr zu der Generation von Eltern, die ihr Leben lang „mit dem KGB Schach spielen“ mussten, so der Autor. Zabużko glaubt, dass die russische Invasion nicht stattfinden wird und dass dies ein Selbstmord für Putins Herrschaft sein könnte. Der Druck selbst spielt eine Rolle.

Deshalb zitiert er in einem Interview mit der „FAZ“ die Worte des britischen Politikers Ben Wallace, der Putins historische Erzählungen über Russen und Ukrainer, die „eine Nation“ sein sollen, in Fetzen reißt. Wallace riecht auch nach Putins Unsinn, die NATO habe sich von selbst „erweitert“, und nicht nach Staaten und Nationen, die aus der russischen Unterdrückung ausbrechen wollten. Es ist auch eine Lüge, davon zu sprechen, dass die NATO Russland „einkreist“. Die Wochenzeitung Die Zeit errechnete, dass von den 57.680 km der russischen Grenze nur etwa 800 km auf fünf Nato-Staaten entfallen: Norwegen, Estland und Lettland sowie Litauen und Polen an der Grenze zum Kaliningrader Gebiet. „Die Runde sieht anders aus“, schreibt Wallace. Putins Ziel ist es – nachdem er die Opposition im Land zerschlagen hat – nur, antiwestliche Emotionen in Russland zu schüren.

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Brandts Zeiten sind vorbei

Die ältere Generation der deutschen Sozialdemokraten – und in der SPD stellen sie die Mehrheit – ist noch immer auf Logik fixiert Ostpolitik Willy Brandt mit dem Motto „Veränderung durch Annäherung“, so „Die Zeit“. Sie vergessen, dass die aktuelle Situation genau das Gegenteil ist. Damals ging es darum, dass Deutschland die Nachkriegswirklichkeit und vor allem die Grenze an Ora und Neiße anerkennt, um die Berliner Mauer durchlässiger zu machen, die 1989 zu ihrem Fall beigetragen hat. Jetzt geht es um die Anerkennung durch Russland die Grenzen der souveränen Ukraine, und Deutschland verteidigte nicht nur seine Interessen, sondern auch seine internationalen Prinzipien.

Großbritannien leistet Deutschland keinen Widerstand und versorgt die Ukraine mit Panzerabwehrwaffen. Deutschland scheint die russischen Opfer des Zweiten Weltkriegs den ukrainischen vorzuziehen, obwohl es in erster Linie die Gebiete der Ukraine und Weißrusslands und nicht das ethnische Russland waren, die dem Nazi-Terror ausgesetzt waren. Deshalb sehen ukrainische Intellektuelle wie Zabużko oder Juri Andruchowytsch „Call 73“ als Zeichen der Hoffnung.

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Deutsches Bremssystem

In der Ukraine beendet Gerhard Gnauck seinen Bericht in der „FAZ“, viele halten Deutschland für einen pro-russischen „unsicheren Kantonisten“ im westlichen Lager. Die deutsche Angst soll die Passivität überdecken, glaubt Ivan Yakovyna, der für das Portal Nv.ua auf Ukrainisch, Russisch und Englisch schreibt. Jakowyna spottet, Bundeskanzler Olaf Scholz habe „noch einmal seine Super-Befürchtungen geäußert“.

Auch Daria Kaleniuk verlor die Geduld. Die Worte von Annalena Baerbock, Berlin lehne Militärhilfe für die Ukraine wegen der deutschen Geschichte ab, gehören zu den dümmsten Äußerungen der Geschichte. Auf Twitter empörte sie sich darüber, dass die Geschichte Deutschlands bereits Millionen Ukrainer gefordert habe und nun noch mehr Ukrainer ihretwegen sterben sollen. Deshalb hat er die Nase voll von deutschen „Geschichtsbezügen“.

Ansonsten sieht Präsident Wolodymyr Selenskyj, der vor allem zum Frieden aufruft, Panik als Hauptbedrohung. Am vergangenen Mittwoch appellierte er an die Medien, nicht mit Informationslärm Öl ins Feuer zu gießen. Die Ukraine will keinen Krieg, muss aber immer darauf vorbereitet sein. Der Präsident rief seine Landsleute dazu auf, Straßen zu bauen, Impfungen zu lernen und auf eine Zukunft „ohne Viren und Kriege“ zu hoffen.

Dennoch äußerte der ukrainische Außenminister Kuleba in der „Welt am Sonntag“ am Sonntag deutlich die Enttäuschung darüber, dass Berlin nicht nur die Unterstützung der Ukraine verweigere, sondern es auch anderen EU- und Nato-Staaten erschwere, etwa Estland, das bereit sei, die Sowjetunion abzugeben Haubitzen aus dem DDR-Überschuss nach Kiew. . Dazu bedarf es der Zustimmung Deutschlands, und diese liegt nicht vor.

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Aldrich Sachs

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