Nur zwei Nachbarn wollen Deutschland in Not helfen | 09.12.2022


09.12.2022

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Deutschland könnte bald auf die Solidarität der Nachbarländer angewiesen sein. Aber mehrere wichtige Nachbarn wollen keine Abkommen mit Deutschland schließen. Die möglichen Folgen wären verheerend. Auch die Opposition wirft der Regierung vor betont Philipp Vetter.



Mehrere Nachbarländer wollen offenbar keine Vereinbarungen mit Deutschland über gegenseitige Gaslieferungen in Notsituationen schließen. Das geht aus einem schriftlichen Bericht des Wirtschaftsministeriums für den Bundestagsausschuss Klimaschutz und Energie hervor, der WELT vorliegt. „Deutschland hat bisher ein Solidaritätsabkommen mit Dänemark und Österreich geschlossen“, heißt es in dem Bericht. „Auf der anderen Seite vermeiden Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Polen konstruktive Verhandlungen und den Abschluss bilateraler Solidaritätsabkommen mit uns.“

Vielmehr sollen Solidaritätsverträge die Prozesse und gegenseitigen Verpflichtungen in Bezug auf Erdgaslieferungen regeln, die erforderlich wären, „um die lebensnotwendige Erdgasversorgung geschützter Kunden (Kunden aus Haushalten, soziale Dienste, im weiteren Sinne Gaskraftwerke) sicherzustellen Stabilität des Netzwerks)“. , steht in der Zeitung.

Dass diese Verträge jetzt nicht zustande kommen, ist daher problematisch. „Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Lage (Gasversorgungslage) und der erhöhten Anfälligkeit für Gaskrisen ist dies problematisch, da eine wesentliche Komponente der EU-Abwehr gegen die Gaskrise in Form von Mechanismen bilateraler Abkommen nicht durchgesetzt würde “, schreibt das Ministerium von Robert Habeck (Grüne).

Darüber hinaus würde die Ablehnung durch die Nachbarländer „die Umsetzung der EU-Gesetzgebung in Frage stellen“, heißt es in dem Bericht. Derzeit laufen Verhandlungen mit Tschechien und Italien. Doch auch diese Verhandlungen gestalten sich offenbar schwieriger als erwartet.

„Die italienische Partei kann erst nach den Parlamentswahlen reaktiviert werden“, heißt es. Zudem strebt Deutschland ein dreiseitiges Abkommen an, an dem sich neben Italien auch die Schweiz beteiligen würde. „Es ist derzeit nicht absehbar, wann eine solche Vereinbarung unterzeichnet wird.“

Aber Zeit ist wichtig, schließlich liefert Russland seit Ende August kein Gas mehr nach Europa, und wenn ein kalter Winter käme, würden die Vorräte in den Gasreservoirs nur noch für zwei Monate reichen.

Besonders besorgniserregend ist die Ablehnung der Niederlande und Belgiens

Insbesondere die Weigerung der Niederlande und Belgiens, Solidaritätsvereinbarungen auszuhandeln, ist aus deutscher Sicht fragwürdig. Deutschland bezieht derzeit gut die Hälfte seines Gases, das noch aus Pipelines stammt, die durch die beiden Länder führen. Da Deutschland noch nicht über eigene Terminals zum Bezug von Flüssiggas verfügt, ist die Bundesregierung auf den Gasfluss durch die Niederlande und Belgien angewiesen.

Rund 1.500 Gigawattstunden Gas pro Tag kamen in den vergangenen Wochen durch die beiden Nachbarländer, die andere Hälfte bezog Deutschland laut einem Bericht der Bundesnetzagentur aus Norwegen.

Dem Bericht zufolge scheitern die Verhandlungen an den geplanten Ausgleichsregelungen: „Wenn Gas in Deutschland enteignet werden müsste, um es den Nachbarländern zur Verfügung zu stellen, müsste Deutschland enteigneten Unternehmen unter anderem Entschädigungen für Gas- und Produktionsausfall zahlen ; insbesondere lehnen die genannten Staaten diese Regelung auf Gegenseitigkeit ab“, heißt es in dem Bericht. Auch die Verhandlungen mit Tschechien stagnieren offenbar aus diesem Grund, da die Tschechen eine Senkung dieser Kosten fordern.

„Die Auswirkungen der Energiekrise werden größer sein als die zweijährige Pandemie“

Stark steigende Strom- und Gaspreise werden für Unternehmen immer mehr zum Problem. Sie befürchten eine Pleitewelle und den Verlust von Zehntausenden von Arbeitsplätzen. „Die Energiekosten steigen weiter“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland.

Ein Kompromiss lässt sich kaum finden, da eine Begrenzung oder ein Verzicht auf Entschädigungen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. „Aktuell sind kaum Fortschritte bei der Aufnahme von Verhandlungen über bilaterale Solidaritätsabkommen zu erwarten“, schreibt Habecks Ministerium.

„Bilaterale Solidaritätsvereinbarungen werden voraussichtlich nicht abgeschlossen und können nicht weiter verhandelt werden, es sei denn, Deutschland verzichtet auf eine Entschädigung für das gelieferte Gas oder die Nachbarländer ändern ihre Haltung, keine oder nur eine finanziell begrenzte Entschädigung für das erhaltene Gas zu zahlen.“

Die Opposition sieht die gemeinsame Verantwortung von Bundesregierung und Wirtschaftsminister Habeck für festgefahrene Verhandlungen. „Die Zurückhaltung der EU-Partner beim Solidaritätsabkommen zeigt, wie sehr die Bundesregierung bereits das Vertrauen in Europa verloren hat“, sagte EU-Fraktionsvizechef Jens Spahn gegenüber WELT.

„Während wir zum Beispiel durch die Niederlande und Belgien Gas bekommen, schaltet die Ampelkoalition Deutschlands Atomkraftwerke ab und verringert damit Deutschlands Beitrag zur europäischen Energiesicherheit.“ Dieser „nationale Alleingang“ schade dem Ansehen Deutschlands. „Das fehlende Verständnis mancher europäischer Partner im Umgang mit Deutschland ist nachvollziehbar“, sagte Spahn.

Quelle auf Deutsch: HIER


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Katrin Taube

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