Nach einem Streit wurde eine Abgeordnete der Grünen während einer Wahlkampfveranstaltung von einem 66-jährigen Mann angegriffen. Die Tendenz ist alarmierend: Im Jahr 2023 gab es in Deutschland mehr als 60.000 Angriffe aus politischen und/oder religiösen Gründen. Die Grünen-Abgeordnete Marie Kollenrott ist das jüngste Opfer in einer Reihe von körperlichen Angriffen auf Politiker in Deutschland. Während einer Wahlveranstaltung am Sonntag (26.05.) im Zentrum der niedersächsischen Universitätsstadt Göttingen wurde sie plötzlich von einem 66-jährigen Mann angegriffen, der ihr mehrere Schläge auf den Oberkörper versetzte und dann davonging. Mit leichten Verletzungen an den Armen verfolgte Kollenrott ihn mit Hilfe eines Zeugen und rief die Polizei.
Zuvor hatte sich der Mann in der Nähe des Wahlkampfstandes abfällig über die Grünen geäußert. Es kam zu einem kurzen politischen Streit, im Anschluss kam es zum tätlichen Angriff auf den 39-jährigen Landtagsabgeordneten.
Der Angreifer, ein gebürtiger Göttinger, konnte kurz darauf unweit des Tatorts festgenommen werden. Nach den polizeilichen Formalitäten und der Identifizierung des Angreifers wurde dieser wieder freigelassen. Das Staatsschutz-Kommissariat der Polizei, das für politisch motivierte Kriminalität zuständig ist, leitete Ermittlungen unter anderem wegen Körperverletzung ein.
Die gebürtige Hamburgerin Marie Kollenrott vertritt seit Oktober 2021 die Grünen im Landtag in Hannover. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Umwelt- und Energiepolitik.
Grüne: „Wir lassen uns nicht einschüchtern“
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) verurteilte die Tat aufs Schärfste: „Es ist kein Ende in Sicht, es ist wieder passiert und es ist klar, dass dies nicht der letzte Vorfall dieser Art sein wird. Es ist völlig inakzeptabel, dass Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf immer wieder Opfer gewalttätiger Übergriffe werden.“
Weil hält diese Entwicklung für „gefährlich“. „Unsere Demokratie funktioniert nur, wenn sich Bürger auch sichtbar und öffentlich zu ihren Überzeugungen bekennen“. Deshalb sei es wichtig, „wachsam zu sein, gegen ungezügelte Aggressionen in der politischen Auseinandersetzung einzuschreiten und sie wenn möglich im Keim zu ersticken“.
Die stellvertretende Geschäftsführerin für politische Angelegenheiten der Grünen, Emily Büning, äußerte sich auf der Plattform X (ehemals Twitter): „Ein weiterer Angriff auf ein Politikum und damit auf unsere Demokratie und freie Wahlen. Wir lassen uns nicht einschüchtern!“
Grüne sind das Hauptziel politischer Gewalt
Laut Berlin hat die Häufigkeit von Gewalttaten gegen Politiker im Land zugenommen. Ziel sind vor allem Grüne: Allein im Jahr 2023 gab es 1.219 Fälle – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 575 im Jahr 2022.
Es folgen Politiker der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) mit 575 Angriffen und der Mitte-links-Partei Sozialdemokratische Partei (SPD) mit 420.
Die Situation ist so extrem, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im April 2024 rund 80 der rund 11.000 Kommunal- und Gemeindevorsteher des Landes zusammenrief, um die Probleme und Sorgen derjenigen zu besprechen, die sich der extremen Rechten stellen müssen. Ein symbolisches Beispiel für diese Bedrohung ist der Kasseler Gouverneur Walter Lübcke, der 2019 von einem Neonazi getötet wurde.
Matthias Ecke, ein SPD-Europaabgeordneter, der sich zur Wiederwahl stellt, wurde am 3. Mai von vier Männern geschlagen, als er im sächsischen Dresden Wahlplakate aufhängte. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert und musste sich aufgrund der Schwere seiner Verletzungen einer Operation unterziehen.
Soziopolitische und religiöse Motivation sind oft miteinander verflochten
Bundesinnenministerin Nancy Faeser wies damals deutlich auf die Urheber solcher Anschläge hin: „Diejenigen, die gerade in rechten Gruppierungen ein Klima der Gewalt mit völlig unkontrollierten Feindseligkeiten provozieren, tragen hierfür eine erhebliche Verantwortung.“
Vier Tage später wurde Berlins Finanzministerin Franziska Giffey (SPD) bei einem Besuch in einer Bibliothek im Berliner Stadtteil Rudow von einem schweren Sack am Kopf getroffen.
Am Abend des 17. Mai wurde der AfD-Landesabgeordnete Martin Schmidt nach einem Streit und Beleidigungen mit einem Glasaschenbecher am Kopf getroffen und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Vorfall ereignete sich in einer Bar in Schwerin, der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns.
Nach aktuellen Statistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Bundesinnenministeriums wurden im Jahr 2023 in Deutschland 60.000 Straftaten mit gesellschaftspolitischem und/oder religiösem Hintergrund registriert – 1.100 mehr als im Vorjahr. Die Analyse bestätigt, dass beide Motive oft miteinander verknüpft sind.
av/le (AFP, Reuters, EPD, DPA)
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