Arena für Hitler-Kundgebungen gebaut, um Opernhaus zu beherbergen

Die Entscheidung des Nürnberger Rathauses, das ehemalige NS-Gebäude in einen Veranstaltungsort umzuwandeln, ist umstritten. Kritiker sagen, Kultur sollte die Erinnerung an die Gräueltaten des Dritten Reiches nicht verwässern. Die Nürnberger Stadtverwaltung bestätigte am heutigen Mittwoch (12.15.), dass ein altes NS-Gebäude vorübergehend die Nürnberger Oper beherbergen wird. Das U-förmige Gebäude sollte die gesamte Macht des NS-Regimes repräsentieren: Die Kongresshalle des ehemaligen Reichsparteigeländes wurde gebaut, um gigantische Kundgebungen und Propagandaveranstaltungen des Dritten Reiches zu beherbergen. Hitler stellte sich vor, seine Reden vor Ort vor etwa 50.000 Menschen zu halten – doppelt so viele Menschen, wie in das Kolosseum in Rom passen. Das Gebäude wurde jedoch nie fertiggestellt. Wie bei vielen anderen massiven Architekturprojekten des Dritten Reiches fehlten der faschistischen Partei das Geld und die Manpower, um diese Visionen zu verwirklichen – der Zweite Weltkrieg verbrauchte alle Ressourcen. Am Ende wurde die riesige Kongresshalle zu einem großen Innenhof, der von fast 40 Meter hohen Backsteinmauern eingerahmt wurde und an antike Kampfarenen erinnert. Das Gebäude blieb ein Symbol für das Scheitern des nationalsozialistischen Größenwahns. Zusammen mit dem Gebäudekomplex Colossus de Prora auf der Insel Rügen gehört es zu den größten erhaltenen Monumentalbauten aus der NS-Zeit. Nun ziehen Oper und Ballett des Staatstheaters Nürnberg in den gigantischen Innenhof, der provisorisch überdacht wird. Die Präsentationen finden vor Ort statt. In dem U-förmigen Gebäude werden Werkstätten, Proberäume und Büros untergebracht. Der jetzige Sitz der Nürnberger Oper braucht sieben bis zehn Jahre für die Renovierung und lohnt sich daher, in den temporären Bau des NS-Altbaus zu investieren. Der Nürnberger Kulturminister schlug sogar vor, das Gebäude dauerhaft als Kulturzentrum zu nutzen. „Erinnerung darf nicht verwässert werden“ Dennoch stößt das Projekt auf viele Kritiker. „Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist die Frage: Wollen Sie so ein Gebäude in ein schickes Kulturzentrum umbauen?“, sagte der Leiter des Dokumentationszentrums des Reichsparteitagsgeländes, Florian Dierl, der Deutschen Presse-Agentur. Er betont, dass Kultur die Funktion der Gedenkstätte nicht verwässern darf. Historiker verschiedener Verbände sprachen in einem offenen Brief und schrieben, das Gebäude sei eines der bedeutendsten architektonischen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus in Deutschland und kein beliebig nutzbarer Besitz. Der Historiker Hans-Christian Täubrich hält Opernaufführungen hier für fehl am Platz. „Das wäre einfach eine Ablenkung vom Hauptaugenmerk, nämlich dieser Monstrosität“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. „Diese Monstrosität ist auch gleichbedeutend mit all den monströsen Dingen, die während des Nazi-Regimes im Namen Deutschlands passiert sind.“ Streitigkeiten im ewigen Brennpunkt Seit Jahren gibt es eine Reihe von Streitigkeiten um die Nutzung des Gebäudes. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg fanden hier Ausstellungen und Tagungen statt. In den 1960er Jahren gab es Vorschläge, es in ein Sportstadion umzuwandeln. 1987 lehnte die Stadtverwaltung die Idee eines Investors ab, das Gebäude in ein Einkaufs- und Freizeitzentrum umzuwandeln. Im Nordflügel des Gebäudes ist seit 2001 das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände untergebracht, im Südflügel seit 1963 die Nürnberger Symphoniker. Im Sommer gibt das Orchester Open-Air-Konzerte in einem Teil des Innenhofs. Der künstlerische Leiter des Orchesters, Lucius A. Hemmer, sagte der Nachrichtenseite Nordbayern.de, er finde die Idee des Umzugs der Oper „bezaubernd“ „bezaubernd“. Er sei froh, dass sich nach Jahren der Debatte endlich Gespräche entwickeln und Entscheidungen getroffen werden. Lange hatte er auf eine Entscheidung über die Nutzung des Gebäudes gewartet. „Wir wissen bis heute nicht: Ist das jetzt eine Gedenkstätte oder sollen wir das Gebäude weiterentwickeln? Ist es eine Ruine, eine Gedenkstätte, ein Museum oder ein Veranstaltungsort?“ Kultur muss Geschichte thematisieren Diese Frage stellte sich im Zusammenhang mit vielen NS-Bauten und wird fortgeführt. Auch in Berlin ist geplant, den Flughafen Tempelhof zu einem Kulturzentrum zu machen, das als eine Art Tor zu Hitlers utopischer Germanie konzipiert wurde. Der Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus bleibt in Deutschland ein sensibles Thema und der Erinnerungskultur wird ein hoher Stellenwert beigemessen. Manche Kritiker halten es für unverantwortlich, einem NS-Gebäude seine Bedeutung als Ort in der Geschichte zu nehmen, indem man seine Nutzung ändert. Denkbar wäre jedoch, dass sich die Oper in ihren Programmen mit der dunklen Geschichte des Ortes auseinandersetzt. Denn Kultur bietet viele Möglichkeiten, eine Diskussion über die Geschichte – insbesondere die NS-Vergangenheit – anzustoßen, anstatt sie zu überschatten. Autorin: Silke Wünsch

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