Auch nach 30 Jahren hätten die Deutschen aus dem Osten einen schwierigen Weg in die Eliten, sagt der Experte

Bundeskanzler Helmut Kohl hat vor 30 Jahren versprochen, die ostdeutschen Länder in blühende Landschaften zu verwandeln. Wie haben sich Ihrer Meinung nach die Deutschen in 30 Jahren geschlagen?

Wenn wir den diesjährigen Bericht zur Lage der Deutschen Einheit lesen, der jedes Jahr von der Bundesregierung herausgegeben wird, klingt das recht optimistisch. Der Bericht weist darauf hin, dass vieles tatsächlich funktioniert hat. Dass in vielen Bereichen die Einigkeit tatsächlich erreicht oder fast erreicht ist. Das heißt, die Unterschiede zwischen Ost und West sind nicht mehr sehr offensichtlich. Auf der einen Seite herrscht also im Zusammenhang mit dem Jubiläum tatsächlich Optimismus. Das ist also die Ansicht der Bundesregierung.

Aber dann gibt es natürlich noch ältere Ausgaben. Die Vergütung, insbesondere die wirtschaftliche Vergütung, ist nicht in allen Bereichen 100%ig. Der Osten wird ärmer und muss immer noch subventioniert werden, wenn auch natürlich weniger als früher. In den dreißig Jahren wurden große Fortschritte gemacht, und die Situation ist unvergleichlich besser als vor dreißig Jahren. Mit anderen Worten, die Bundesregierung kann, wie der Bericht andeutet, einigermaßen zufrieden sein.

Am Samstag startet die Initiative „3. Oktober – Deutschland singt“. Die Veranstalter rufen Menschen in ganz Deutschland auf, am Samstag um 19:00 Uhr gemeinsam auf der Straße, auf Balkonen oder zu Hause im Wohnzimmer zu singen. Auf dem Repertoire steht unter anderem das Lied Die Gedanken sind frei kostenlos) und die Europahymne – Beethovens Ode an die Freude.

Das ist die wirtschaftliche Seite der ehemaligen DDR. Und wie sieht es mit Bevölkerung und Lebensqualität aus? Hat es sich auch dem Westen genähert?

Ich denke, es hängt zusammen. Damit, dass wir diese lange Phase deutlich höherer Arbeitslosigkeit im Osten als im Westen überwunden haben. Im Osten erreichte sie 20 %, das war doppelt so viel wie im Westen, selbst in Krisenzeiten, als die Arbeitslosigkeit auch im Westen hoch war. Das wurde jetzt reduziert. Mit anderen Worten, der Lebensstandard im Osten liegt im Durchschnitt auf einem hohen Niveau.

Auch Personen in diversen Umfragen bewerten ihre wirtschaftliche Lage subjektiv als gut. Aber trotz der Tatsache, dass die Situation recht günstig ist, bleibt ein gewisses Missverhältnis in der Zufriedenheit mit ihr und der Situation. Im Osten Deutschlands zeigen sich die Menschen weniger zufrieden.

Im Gegenteil, sind sie in Ostdeutschland dem Westen voraus?

Eines soll in der DDR besser gelaufen sein, und das war die Frauenerwerbstätigkeit. Sie hatten eine größere Zahl berufstätiger Frauen, insbesondere Mütter. Da in der DDR Arbeitskräfte benötigt wurden, mussten Frauen mit anpacken, Krippen und Kindergärten mussten eingerichtet werden. Und sie blieben auch nach der Wiedervereinigung. So ist die Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten höher als im Westen, was als positives Erbe der DDR gewertet wird, die es Frauen ermöglicht hat, neben der Familie Karriere zu machen.

Sie haben bereits den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit erwähnt. Marco Wanderwitz, Staatsanwalt für die neuen Länder, argumentiert, dass Vergleiche nicht mehr nur Ost und West, sondern auch Nord und Süd betreffen könnten. Bedeutet dies, dass die deutsche West-Ost-Trennachse nicht mehr so ​​relevant ist wie früher?

Nicht so aktuell. Obwohl es natürlich immer noch beobachtet wird und es immer noch ein politisches Thema ist. Allerdings ist die Trennlinie nicht mehr so ​​stark, weil die Probleme einfach geografisch über ganz Deutschland verteilt sind. Natürlich gibt es viele strukturschwache Regionen in Ostdeutschland, aber auch viele in Westdeutschland. Es gibt auch das Nord-Süd-Problem, aber es zieht sich auch quer durch Deutschland. Obwohl der Norden und Nordosten problematischer sind.

Statt der Ost-West-Linie folgt man tendenziell anderen Bewertungskriterien: dem Zustand der deutschen Wirtschaft, der Lebensqualität und so weiter. Natürlich ist die Ost-West-Linie nicht verschwunden und wird noch lange nicht verschwinden und wird noch lange überwacht.

Marco Wanderwitz, Bevollmächtigter der Bundesregierung für die neuen Länder.

Gibt es in diesem Zusammenhang so etwas wie eine ostdeutsche Identität? Oder woran erkennt man es?

Ich würde sagen, wahrscheinlich nicht, es existiert nicht als solches. Aber es gibt verschiedene kollektive Identifikationen. Erstens Menschen, die die DDR erlebt haben, also diese Erfahrung haben. Aber dann gibt es noch die Generation, die nach der Wiedervereinigung geboren wurde. Und teilweise fühlen sie sich wie Deutsche, sie fühlen sich nicht anders, als im Osten zu leben. Aber es gibt auch einen Teil der Menschen, die sich anders fühlen. Es ist einfach anders, im Osten geboren und aufgewachsen zu sein. Also das Bewusstsein, dass der Osten einfach anders ist, dass die Menschen dort ein bisschen anders leben, dass die Menschen etwas andere Erfahrungen machen, dass sie andere Ansichten haben. Bleibt.

Aber es ist nicht so, dass sie völlig verschieden sind und nicht in ganz Deutschland operieren können, das ist es nicht. Aber es gibt eine gewisse Spannung, dass die Leute Deutsche sind, aber dass sie ein bisschen anders denken, dass sie im Alltag ein bisschen anders arbeiten. Das gilt nur für einen Teil der Gesellschaft, denn dann gibt es einen großen Teil, der sich irgendwie als Deutscher fühlt und es nicht wichtig findet, ob Ost oder West zu unterscheiden.

Wie ist Ostdeutschland in der aktuellen Bundespolitik vertreten? Ist es unterrepräsentiert oder ist es eine passende Repräsentation?

Die frühere DDR bzw. der Teil ihrer Wählerschaft, der sich nach 1990 nicht vollständig in das neue System integrieren und mit ihm identifizieren konnte, wurde von der postkommunistischen Partei des Demokratischen Sozialismus vertreten. Nach rund fünfzehn Jahren schloss sich diese Partei, die nur in Ostdeutschland gewählt wurde und im Westen fast keine Wähler hatte, mit einer zersplitterten Fraktion der Sozialdemokraten zusammen und bildete eine neue Partei.

So gab es Postkommunisten aus dem Osten und die linken Sozialdemokraten, die mit Schröders Regierungsreform nicht einverstanden waren. Und es entstand Die Linke, die dann deutschlandweit erfolgreich war, auch wenn sie im Osten immer mehr Rückhalt hatte. Auch im Westen erhielt sie einige Unterstützung, weil die westlichen linken Sozialdemokraten dort waren. Und so wurde aus der mit der DDR verbundenen Partei eine gesamtdeutsche Partei.

Ähnlich verhält es sich mit der Alternative für Deutschland, die in Ostdeutschland stärker ist, aber in Westdeutschland eine gewisse Unterstützung und Vertretung hat. Wir sehen darin, dass die Ost-West-Teilung zwar noch eine Rolle spielt, aber keine so scharfe Linie mehr ist.

Und wie sieht es mit der direkten Vertretung auf Ebene der Politiker in der Bundesregierung aus? Gibt es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in der DDR lebte, aber bedeutet das, dass die Deutschen aus dem Osten nicht unterrepräsentiert sind?

Das Thema Repräsentativität wird aufgrund der Repräsentation der Menschen in Ostdeutschland in Elitepositionen diskutiert – unter Eliten, nicht nur in politischen. Es ist die Rede davon, dass Ostdeutsche weniger Chancen haben, in die oberste Führungselite zu gelangen, sowohl in der Privatwirtschaft, also in der Unternehmensspitze, als auch in Landes-, Bundes-, also gesamtbundesstaatlichen Institutionen.

In den höchsten Positionen sind die Ostdeutschen unterrepräsentiert, und die Frage ist, warum und ob und wie das behoben werden kann. Es wird diskutiert, ob es in Ordnung ist, ob man Quoten in den Bundesbehörden einführt oder wie man sie ausbalanciert. Im privaten Bereich lassen sie es ruhen. Aber er sieht das Problem darin, dass es einen Karrierenachteil bedeutet, in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen zu sein. So hoch kann man nicht kommen, weil die Eliten woanders rekrutiert werden.

Laut einer Studie zur Bundeswehr kommen deutlich weniger Generäle aus der DDR. Auch nach dreißig Jahren gelang es den Ostdeutschen nicht mehr, in diese höheren Positionen vorzudringen. Da ist natürlich das Beispiel von Bundeskanzlerin Merkel, die das perfekt gemacht hat und sich wohl nicht benachteiligt fühlt. Es gibt andere Leute aus dem Osten, die seit der Wiedervereinigung große Karrieren gemacht haben und Möglichkeiten haben, die sie nicht haben sollten. Aber die Frage der Unverhältnismäßigkeit und eines gewissen Nachteils bleibt bestehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Bundeskanzlerin Merkel ist also eine Ausnahme, dass sie so durchgebrochen ist?

Vielmehr repräsentiert sie einen erfolgreicheren, zufriedeneren Teil der Bevölkerung Ostdeutschlands. Sie ist die sichtbarste, aber sie ist nicht die einzige. Aber dann gibt es den zweiten Teil der Gesellschaft, der aus irgendeinem Grund keine solche Chance, Glück und Erfolg hatte. Und das ist das Problem und das Thema, das bleibt.

Es hat nicht mehr viel mit der Zeit der Teilung in zwei Staaten zu tun, sondern es ist eine Frage der letzten dreißig Jahre: Was ist eigentlich gelungen oder gescheitert, auch wenn in Ostdeutschland manche noch immer unzufrieden damit sind. Und das ist eine große Überraschung in einer Situation, in der er ziemlich gut darin ist. Warum es Unzufriedenheit gibt, warum sie rechtspopulistische oder linksextreme Parteien wählen, warum sie unterschiedliche Ansichten über Politik haben. Auch wenn die Annahme war: Wir werden uns arrangieren, wir werden die Wirtschaft ausgleichen, und damit wird der Abbau dieser mentalen Unterschiede einhergehen. Aber es geschah nicht.

Aldrich Sachs

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