Kaum Chance auf eine Wende in der deutschen Russlandpolitik

Kennenlernbesuche des Chefs des Auswärtigen Amtes: erst Kiew, dann Moskau – das ist nur ein symbolisches Signal an den Kreml.






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Die Leiterin der deutschen Diplomatie Annalena Baerbock und das Außenministerium der Ukraine Dmytro Kułeba

– Ich bin bereit für einen ernsthaften Dialog – sagte Annalena Baerbock vor der Reise am Montag in die Hauptstädte der Ukraine und Russlands, im Hinblick auf die für Dienstag angekündigten Gespräche in Moskau. Sie sollen die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen betreffen. „Wir sind entschlossen zu reagieren, falls Russland sich stattdessen für eine Eskalation entscheidet“, erklärte sie. Diese Worte bedeuten, dass der Chef der deutschen Diplomatie bei den Gesprächen mit Minister Sergej Lawrow am Dienstag nicht über die bei einer Reihe von Gesprächen zwischen Russland und der Biden-, Nato- und EU-Regierung festgelegte Linie hinausgehen will.

In Berlin soll Minister Baerbock allerdings entschiedener auftreten als die Regierung Olaf Scholz bisher. Die Liberalen von der FDP, dem Koalitionspartner der SPD, zusammen mit den Grünen, verhehlen solche Hoffnungen nicht.

– Ich erwarte nicht, dass Baerbock das Schicksal der Gaspipeline Nord Stream 2 in die Waagschale wirft und damit droht, sie dauerhaft einzufrieren, falls Russland beschließt, militärisch gegen die Ukraine vorzugehen – Hannes Adomeit, Politikwissenschaftler und Unterzeichner des Briefes von über 70 Deutschen Experten, sagt Rzeczpospolita zur Regierung, in der sie Forderungen nach einer entscheidenden Kursänderung der Berliner Politik gegenüber Moskau stellten.

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Der Brief ist eine vernichtende Kritik an der deutschen Politik der letzten zwei Jahrzehnte, initiiert zu Zeiten von Bundeskanzler Gerhard Schröder, deren maßgeblicher Urheber Frank-Walter Steinmeier, der jetzige Bundespräsident, war. – Putins Angriff auf die Ukraine im Jahr 2014 scheint angesichts der vergangenen 20 Jahre Passivität der deutschen Politik gegenüber dem russischen Neoimperialismus eine logische Konsequenz zu sein – heißt es in dem Brief. Weitere rein verbale oder symbolische Reaktionen aus Berlin auf das Vorgehen Moskaus würden den Kreml, so die Unterzeichner, nur zu weiteren Eskapaden verleiten.

Wie Adomeit betont, ist es an der Zeit, logische Schlussfolgerungen zu ziehen, da Russland unter Putin eine größere Bedrohung darstellt als zu Zeiten der UdSSR.

– Der Brief spiegelt nicht unbedingt die Stimmung im politischen Establishment wider. Die Meinungen darin sind stark geteilt, aber der pragmatische Trend zu Russland hat immer noch eine starke Stellung – sagt uns Kai-Olaf Lang, Experte der vom Bundestag geförderten Denkfabrik Wissenschaft und Politik.

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– In der Grünen-Fraktion gibt es viele Stimmen, dass Baerbock in Moskau klarstellen und mit dem endgültigen Ende des Nord Stream 2-Projekts drohen sollte. Ein solcher Schritt würde Bundeskanzler Scholz vor vollendete Tatsachen stellen, und er müsste sich in seiner Rede beim Weltwirtschaftsforum am Donnerstag in Davos klar definieren. „Rzeczpospolita“ unser Berliner Gesprächspartner aus Kreisen des Auswärtigen Amtes. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dies zu einer Regierungskrise führen könnte. Es sieht jedoch nicht danach aus.

Nichts deutet darauf hin, dass die Grünen etwas über den Koalitionsvertrag hinaus unternehmen würden, der von der Bedeutung „stabiler Beziehungen“ zu Russland und der Bereitschaft zum „konstruktiven Dialog“ spreche. Bundeskanzler Scholz selbst stellte im Dezember klar, dass die Beziehungen zu Russland in seine Zuständigkeit fallen. Später in diesem Monat beabsichtigt er, Wladimir Putin in Moskau zu treffen.

Eine Anfrage von Außenminister Dmytro Kuleba nach Lieferungen deutscher Abwehrwaffen lehnte Baerbock am Montag in Kiew ab. Die Ukraine fordert sie seit Jahren. In den vergangenen Monaten hatte sich der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, für die Übergabe ausgesprochen, bevor er Minister in der aktuellen Regierung wurde. Das sorgte in Deutschland für Irritationen, auch in seiner eigenen Partei, deren Programm eine Bestimmung enthält, die „die Lieferung deutscher Waffen in das Konfliktgebiet“ verbietet.

Aldrich Sachs

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