„Mit dem Abgang von Angela Merkel wird die deutsche Politik wechselhafter“

Tribun. Sieben Jahrzehnte lang hebt sich die Bundesrepublik Deutschland von anderen Demokratien in Europa durch die vielen Jahre ab, in denen mehrere ihrer Regierungschefs an der Macht blieben: zuerst Konrad Adenauer, dann Helmut Kohl und jetzt Angela Merkel – ganz zu schweigen von der relativ lange Amtszeiten von Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Eine Länge, die den deutsch-französischen Beziehungen zugute kommt. Wir kennen uns und müssen uns nicht ständig auf neue Leute einstellen. Doch Merkels Amtszeit könnte die letzte ihrer Art sein, denn Veränderungen im politischen System haben die Bedingungen nachhaltig beseitigt: Es wird mehr Parteien im Bundestag geben, zwei von ihnen sind kaum koalitionsfähig (die Linksfraktion Die Linke und die rechtsextreme Bewegung Alternative für Deutschland) und die großen Parteien werden geschwächt. Ein Teil der bisher dem Kanzleramt zufallenden Befugnisse soll nun zwischen den Parteivorsitzenden, den Fraktionsvorsitzenden und den Lenkungsausschüssen der Koalitionen aufgeteilt werden.

Darüber hinaus sind aufgrund der föderalen Gliederung Deutschlands die Koalitionsregierungen der Länder an den Entscheidungen auf Landesebene beteiligt. Es ist daher unwahrscheinlich, dass eine Kanzlerin so lange am Ruder bleibt. Das wird Folgen für die EU haben: Die deutsche Politik wird wechselhafter und weniger bereit, Zugeständnisse zu machen, wenn sie bereits viele interne Kompromisse eingehen muss.

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Ihrer strategischen Entscheidung war es zu verdanken, dass Merkel die ganze Zeit im Kanzleramt bleiben konnte, während in ganz Europa die Systeme der großen Parteien von Mitte rechts und Mitte links zerbröckelten und die populistischen Bewegungen rechts und links wie Pilze aus dem Boden schossen. Merkel entschied sich dafür, die CDU (CDU, Mitte-rechts) nach links zu ziehen, und besetzte damit beide Hälften der Mitte, anstatt sie zu verlieren, indem sie sich an die rechte Seite klammerte. Damit hielt sie die CDU in einer strategischen Position und verhinderte die Bildung einer gegen sie gerichteten Regierungsbildung. Das ist das strategische Erbe, das Merkel den Christdemokraten hinterlässt. Werden sie es besitzen und werden sie die richtigen Leute dafür haben? Die Zukunft wird es zeigen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Erbe nicht eingefordert oder verschwendet wird.

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Aldrich Sachs

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