Bei der Durchsuchung einer Wohnung in Berlin am Montag (3. Mai) wurde der mutmaßliche Verfasser der rechtsextremen Drohbriefe mit der Unterschrift „NSU 2.0“ festgenommen. Das teilten die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und das Hessische Kriminalamt in der Nacht zu Montag mit.
Bedrohungen im ganzen Land
Ein 53-jähriger arbeitsloser Mann deutscher Staatsangehörigkeit wird verdächtigt, „seit August 2018 bundesweit eine Reihe von Droh-, Beleidigungs- und Drohbriefen verschickt zu haben“, die mit „NSU 2.0“ unterschrieben sind. Medien und Politik, darunter Bundestags- und Landtagsabgeordnete Der Fall war auch deshalb heikel, weil der oder die Täter offenbar Zugang zu vertraulichen polizeilichen Informationen hatten. Der Festgenommene war nie Polizist.
Der Verdächtige wurde in der Vergangenheit für eine Reihe von Straftaten, darunter rechtsextreme Verbrechen, bestraft, berichten Ermittler. Die bei der Durchsuchung beschlagnahmten Datenträger werden derzeit analysiert, es wird auch wegen des Verdachts der Anstiftung von Bürgern, unter Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen, Drohungen und Beleidigungen ermittelt.
Mitte März gab Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) bekannt, dass insgesamt 133 Drohbriefe verschickt worden seien. 115 dieser Briefe schrieben die Ermittler dem Kriminalkomplex NSU 2.0 zu. Vermutlich wurden 18 Briefe von Nachahmern geschrieben und gepostet. 115 Briefe wurden an 32 Personen und 60 Institutionen in neun Bundesländern und Österreich adressiert. Die meisten Briefe wurden per E-Mail verschickt, aber auch Faxe, SMS und Online-Kontaktformulare.
-
NSU-Tatort
Enver Simsek, 09.09.2000, Norymberga
Enver Şimşek, 38, war das erste Opfer der Neonazi-Zelle des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der mehrfach angeschossene Enver Şimşek wurde auf dem Weg aus Nürnberg gefunden. Zwei Tage später starb er. Die Kamerafrau Regina Schmeken begann im Frühjahr 2013, die NSU-Tatort zu besuchen und zu fotografieren. Bis 2016 war sie mehrmals dort gewesen.
-
NSU-Tatort
Süleyman Taşköprü, 27.06.2001, Hamburg
Süleyman Taşköprü, 31, ein Obst- und Gemüsehändler, lag hier in einer Blutlache, als sein Vater ihn fand. Unmittelbar danach starb der Mann. Regina Schmeken wiederholt, dass sie sich oft mit ihrem Apparat vom Boden angezogen fühlt. Auch 14 Jahre nach dem Mord ist der auf dem Foto sichtbare Boden am Tatort immer noch derselbe.
-
NSU-Tatort
Mehmet Turgut, 25.02.2004, Rostock
Mehmet Turgut, 25, starb hier. Er half bei einem Kebab-Imbis aus, als ihn ein NSU-Killer mit Kopfschüssen tötete. Regina Schmeken will in ihrem Projekt der Ermordeten gedenken und die Zuschauer mit den Mordstätten konfrontieren, von denen längst alle Spuren der kriminellen Aktivitäten von Neonazis verschwunden sind.
-
NSU-Tatort
Bombe mit Nägeln, 9. Juni 2004, Köln
In der Kölner Keupstraße wurden bei einer Explosion einer mit Nägeln gefüllten Bombe 22 Menschen zum Teil schwer verletzt. Eine Straße im Kölner Stadtteil Mülheim ist bekannt für ihre türkischen und kurdischen Geschäfte. Lange Zeit ging die Polizei von der – irrigen – Annahme aus, es handele sich nicht um einen Angriff, sondern um Familien- oder Gangsteransiedlungen.
-
NSU-Tatort
Theodoros Boulgarides, 15.06.2005, Monachium
Das siebte Opfer der NSU-Anschlagsserie war der Grieche Theodoros Boulgarides. Er wurde mit drei Kopfschüssen ermordet. Regina Schmeken scheut auf ihren Fotos auch Szenen des Alltags nicht. Im Gegenteil, er will durch das Zeigen deutlich machen, dass Morde, wie sie der NSU verübt, überall und jederzeit passieren können.
-
NSU-Tatort
Halit Yozgat, 06.04.2006, Kassel
In diesem Haus betrieb die in Kassel geborene 21-jährige Halit Yozgat ein Internet-Café. Der NSU ermordete ihn mit zwei Schüssen. Wie alle Opfer von Neonazi-Terroristen wurde Halit Yozgat auf dem Boden gefunden. Er starb in den Armen seines Vaters.
-
NSU-Tatort
Michèle Kiesewetter, 25.04.2007, Heilbronn
Die Polizistin Michèle Kiesewetter, 22, wurde im Heilbronner Stadtteil Theresienwiese mit einem Kopfschuss ermordet. Sie war das zehnte und letzte Opfer des NSU. Die Ausstellung „Bloody Earth“ ist ein Gedenken an die Opfer, ein Appell, sie nicht zu vergessen und ein Aufruf zum Nachdenken über das Geschehene und die Zukunft.
Autorin: Katharina Abel
Opfer des NSU
Im Juli 2020 trat der Chef der hessischen Landespolizei, Udo Münch, im Zusammenhang mit dem drohenden E-Mail-Skandal zurück. Die Adressen der Opfer stammten von Polizeicomputern. Unter ihnen war auch die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz. Anfang März sagte sie, sie habe über ein Dutzend Droh-E-Mails von „NSU 2.0“ erhalten. Auch in ihrem Fall wurden ihre persönlichen Daten von einem Computer des Frankfurter Polizeireviers abgerufen. Auch die Kabarettistin Idil Baydar und der jetzige Parteichef wurden Opfer von Drohungen. Linke Janine Wissler.
NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) heißen die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Boehnhardt, die zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordeten: acht türkischstämmige Menschen, einen Unternehmer mit griechischen Wurzeln und eine Polizistin. Ihre Komplizin Beate Zschaepe wurde 2018 verurteilt.
(dpa, epd / sier)
„Web pioneer. Typical pop culture geek. Certified communicator. Professional internet fanatic.“