Ungarn. Opposition fordert Wahlmission von OSZE-Beobachtern | EU-Polen-Deutschland – Polnische Nachrichten | DW

Maßgeschneiderte Wahlbestimmungen, illegale Wählermobilisierung, heimlicher Stimmenkauf – die Liste der Vorwürfe ist lang. Die ungarische Opposition spricht von „Wahlautokratie“.

Dieses System funktionierte, solange Fidesz die einzige große Partei in Ungarn war. Doch jetzt, drei Monate vor den nächsten Parlamentswahlen, scheint sich die Lage zu ändern. Erstmals seit Orbans Machtübernahme 2010 mit Zweidrittelmehrheit arbeiten die sechs obersten Oppositionsparteien in einem gemeinsamen Block gegen den Premier und seine Partei. Viele Umfragen geben der Oppositionskoalition gute Siegchancen.

Um einen Machtverlust zu verhindern, führt Orban weitere Änderungen des Wahlgesetzes ein. So hat die Fidesz-Parlamentmehrheit vor wenigen Wochen eine Änderung der Registrierungsregeln beschlossen. Wähler können sich jetzt an Adressen registrieren, an denen sie nicht wohnen. Damit ist der Wahltourismus aus den Nachbarländern Ungarns legal – die dort lebende ungarische Minderheit ist für Fidesz Orban ein großes Wählerreservoir.

„Kein Spiel, sondern ein echtes Spiel“

Kein Wunder, dass Oppositionsparteien, Bürgervereinigungen und regierungskritische Experten seit einiger Zeit vor massiven Unregelmäßigkeiten bei den Frühjahrswahlen warnen. Eine NGO geht noch einen Schritt weiter: Unhack Democracy, einer der wichtigsten Wahlbeobachtungsvereinigungen in Ungarn, fordert, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dem Land eine Wahlbeobachtungsmission entsendet – eine sogenannte Langzeitmission Mitglieder bereits während des Wahlkampfes anwesend sind und den Wahlprozess am Wahltag unter Beteiligung von mehreren hundert Beobachtern überwacht.

– Bei den Frühjahrswahlen wird die Rivalität zwischen Regierungspartei und Opposition sehr heftig, das ist nicht nur ein Spiel für Orban, sondern ein echtes Match – sagen im Interview mit DW Zsofia Banuta und Melani Barlai, zwei Mitbegründerinnen von Unhack Democracy. Daher ist die Manipulations- und Betrugsgefahr diesmal besonders groß. – Darüber hinaus in unseren repräsentativen Umfragen 40 Prozent. Die Wähler in Ungarn sagen, sie glauben nicht an faire Wahlen, sagen Banuta und Barlai. – Daher wäre es für die OSZE sehr wichtig, eine langfristige Wahlmission nach Ungarn zu entsenden.

Die Hoffnung der ungarischen Opposition – der Bürgermeister von Budapest, Peter Marki-Zay

Wahltourismus aus der Ukraine

Wahlbeobachtungen durch das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) sind nicht nur in fragilen OSZE-Mitgliedstaaten, sondern auch in EU-Ländern mit stabilen Demokratien üblich – wenn auch meist im Rahmen begrenzter Kurzzeiteinsätze. Andererseits kann eine OSZE-Langzeitmission von den Behörden eines Mitgliedstaats beantragt werden, wenn ernsthafte Zweifel an der korrekten Durchführung der Wahlen bestehen.

Und diese Zweifel gibt es in Ungarn reichlich. Unhack Democracy, gegründet nach den Parlamentswahlen im April 2018, hat in den letzten Jahren immer wieder systematische Unregelmäßigkeiten, Manipulationen und Versuche des Wahlbetrugs aufgedeckt. So dokumentierte der Verband, dass bei den Parlamentswahlen 2018 viele ukrainische Staatsbürger, die auch die ungarische Staatsbürgerschaft besaßen, in die östlichen Grenzregionen Ungarns einreisten, um dort zu wählen – was damals illegal war. Fidesz schaffte es damals, die Schwelle von zwei Dritteln der Stimmen nur knapp zu überschreiten. Dazu trugen auch mehrere Tausend Stimmen der ungarischen Minderheit in der Ukraine bei.

Wahlprotokolle leer unterschrieben

Zunächst befragte die Organisation Unhack Democracy immer wieder anonym Mitarbeiter von Wahllokalen. Mit beunruhigenden Ergebnissen. So gaben beispielsweise nach der Europa- und Kommunalwahl 2019 rund 40 % der befragten Mitglieder der Wahlkommissionen an, dass die korrekte Durchführung der Wahlen unsicher sei. Zehn bis zwölf Prozent der Befragten berichteten von Unregelmäßigkeiten im Wahllokal, von Stimmenkäufen oder Druck auf die Wähler am Wahltag. – Wir haben Zeugenaussagen, dass beispielsweise die Vorsitzenden von Wahlkommissionen in einer Gemeinde in Ostungarn am Morgen Wahlberichte leer unterschreiben ließen, während sie normalerweise am Ende des Wahltages von den Ausschussmitgliedern unterschrieben werden, berichten Banuta und Barlai.

Aber auch Orban und seine Partei greifen auf verschiedene Tricks zurück, um den Ausgang der Wahlen zu beeinflussen. So wurden beispielsweise vor den Parlamentswahlen 2014 neue Wahlkreise zugunsten der Fidesz gezogen. 2014 wurde das Wahlrecht auch für Angehörige ungarischer Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns eingeführt, die die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie sind meist Fidesz-Anhänger und können per Briefwahl abstimmen.

Eine Menge Demonstranten

Proteste gegen Orbans Wahlmanipulationen (Budapest 14.04.2018)

„Freie, aber nicht faire“ Wahlen

Umgekehrt haben ungarische Arbeitsmigranten im Ausland, die noch in ihrem Heimatland registriert sind, kein Briefwahlrecht. Sie können nur in Botschaften und Konsulaten persönlich abstimmen, was für viele aufgrund von Entfernungen und Transportkosten nicht in Frage kommt. Kritiker dieser Regelung spekulieren, dass die Orban-Regierung damit versuche, die Abstimmung der ungarischen Arbeitsmigranten im Westen zu entmutigen, die tendenziell Fidesz kritisieren.

Auf der Grundlage solcher Regelungen stellte die OSZE 2014 fest, dass die Wahlen in Ungarn „frei, aber nicht fair“ seien. Vier Jahre später wurde das Urteil noch schärfer: Es gebe keine gleichberechtigte Rivalität zwischen Regierungspartei und Opposition mehr, stellten die OSZE-Wahlbeobachter damals fest.

Unsichtbare Abhängigkeiten

Die Mitbegründer von Unhack Democracy, Banuta und Barlai, glauben jedoch, dass die „unsichtbare Abhängigkeit“ vieler Wähler von der Regierung und Orbans Partei besonders in kleineren Städten und ländlichen Gemeinden besonders gravierend ist.

Tatsächlich sind sehr viele Menschen in Ungarn vom Staat und der Regierung abhängig – sowohl Sozialhilfeempfänger als auch Unternehmer, die von staatlichen Verträgen leben. Eine Forschergruppe der Eötvös-Lorand-Universität in Budapest hat beispielsweise kürzlich gezeigt, dass der Fidesz seit 2014 umso mehr Stimmen erhält, je höher der Anteil der sogenannten Kommunalarbeiter – Sozialhilfeempfänger, die für den Staat arbeiten müssen .

Melani Barlai und Zsofia Banuta mit dem Panorama von Budapest im Hintergrund

Melani Barlai und Zsofia Banuta, Mitbegründer der Organisation Unhack Democracy

„Gefördert von Brüssel und Soros“

Um zu verhindern, dass Ungarn tiefer in die „Wahlautokratie“ versinkt, argumentieren Banuta und Barlai, dass Oppositionsparteien so viele ihrer eigenen Vertreter wie möglich in die Wahllokale entsenden und sich für eine volle OSZE-Beobachtermission einsetzen müssen. Wie eine OSZE-Sprecherin der DW sagte, sei noch nicht bekannt, ob dies geschehen werde, da es einer Einladung der ungarischen Behörden bedürfe. Bisher ist eine solche Einladung noch nicht ergangen.

Die ungarische Regierung wollte sich dazu für die DW nicht äußern. Das Büro des Sprechers der ungarischen Regierung, Zoltan Kovacs, für Detailfragen, inkl. über die Initiative Unhack Democracy und Vorwürfe der Wahlmanipulation, antwortete: „Von Brüssel und George Soros finanzierte „Bürgerorganisationen“ greifen Ungarn an, weil wir keine Einwanderer reinlassen und wir keine LGBTQ-Propaganda in Kindergärten und Schulen zulassen.“

Aldrich Sachs

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