Sport ist Politik. Das steht außer Frage in diesem neuen Jahr, wenn die Olympischen Winterspiele in Peking und die WM in Katar stattfinden. Schlagen Sie heute einfach die Zeitung auf. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „The Guardian“, die „Polnische Gazeta Wyborcza“ und andere hochkarätige Medien, die viele Stimmen aus der Welt verbreiten, setzen sich auf ihren Sportseiten mit dem diplomatischen Boykott der Spiele auseinander. Olympia der USA, Großbritanniens und anderer Länder, die stille Diplomatie des IOC und die Rechte der Arbeiter in Katar.
Eine Nachricht erhielt weltweit besondere Aufmerksamkeit. Aus Sorge um das Leben von Peng Shuai, die die Weltrangliste anführt, hat die Women’s Tennis Association (WTA) alle Turniere in China ausgesetzt. Insgesamt kommen rund 30 % der Einnahmen der WTA aus China, wobei beim jährlichen Finale in Shenzhen umgerechnet rund zwölf Millionen Euro verschenkt werden, mehr als bei jeder anderen Veranstaltung im Damentennis. Aber die Spieler sagen jetzt: Wir können ohne dieses Geld leben.
Eine starke Haltung hat im Damentennis, dessen Geschichte von Persönlichkeiten geprägt ist, bereits Tradition. In den 1960er Jahren setzte sich die WTA-Gründerin und mehrfache Grand-Slam-Gewinnerin Billie Jean King für Gleichbehandlung und Bezahlung beider Geschlechter ein. Später setzte sich die Gewinnerin mehrerer Wimbledon-Turniere, Martina Navratilova, für die Rechte von Homosexuellen ein. Tatsächlich dominiert das vermeintlich schwächere Geschlecht den Kampfmodus. Sportlerinnen machten ihren Verband zu einer unabhängigen Institution.
Die konsequente Entscheidung der WTA setzt ein Signal: Im Sport kann man „Nein“ sagen. Verhandlungen erfordern Interaktion – einander nähern, sich aber auch ab und zu zurückziehen. Auch Länder, in denen Menschenrechte nicht universell sind, investieren in Fußball. Diese Länder sind Teil des globalen Sports und bieten so viel Geld, dass viele es schwer haben, es abzulehnen.
Das ZDF hat kürzlich eine Untersuchung mit versteckter Kamera durchgeführt. Der Journalist sprach mit Arbeitern aus Nepal, Pakistan und Bangladesch, die in Katar Stadien und Straßen bauen. Sie wohnen zu acht in einem Zimmer, verdienen 300 Euro im Monat und haben monatelange Gehaltsrückstände. Die Untersuchung ergab, dass seit der Vergabe der WM an Katar vor elf Jahren 15.000 Arbeitsmigranten gestorben sind, nicht 6.500.
Der Bericht zeigte auch auffällige Aufnahmen von Spielen des Arabischen Nationen-Pokals 2021 und den acht neuen Stadien. In einem Land mit 2,7 Millionen Einwohnern, das halb so groß ist wie Slowenien, gibt es derzeit acht der modernsten, teuersten und schönsten Stadien der Welt, weniger als eine Stunde voneinander entfernt. Der ZDF-Bericht war ein Vorgeschmack auf das Dilemma, mit dem die WM im nächsten Jahr konfrontiert wird. Die Leute kennen die Situation in Katar und sehen trotzdem gerne die spektakulären Fotos und die besten Teams.
Wir können dieses Dilemma verstehen. Als 1978 während des argentinischen Militärregimes die Weltmeisterschaft stattfand, beantworteten viele Spieler keine Fragen zu den Menschenrechten. Heute können wir die Welt nicht mehr so naiv sehen. Dank laufender Berichterstattung wissen alle Beteiligten besser denn je, was auf fernen Kontinenten passiert. Die meisten Fußballspieler haben aufgrund ihrer hohen Professionalität auch mehr Zeit, sich mit diesen Themen zu befassen. Von Spielern als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wird erwartet, dass sie außerhalb ihrer Blase auf dem Laufenden bleiben. Jetzt, wo die Welt zu einem Dorf geworden ist, kennt jeder die Bedingungen in Katar.
Einige Fußballer greifen ein und fordern die Achtung der Menschenrechte. „Ich denke, auf solche Dinge muss in Zukunft vor der Auftragsvergabe mehr geachtet werden“, sagt Leon Goretzka, deutscher Nationalspieler. „Wir sind zu spät aufgewacht, ich bin zu spät aufgewacht“, schreibt Tim Sparv in einem offenen Brief. Darin lädt der Kapitän der finnischen Nationalmannschaft Spieler, Medien und Fans ein, über die Arbeitsbedingungen in Katar zu sprechen.
Dieses Argument trägt bereits im Kleinen Früchte. Als im Dezember während eines Drittligaspiels zwischen dem MSV Duisburg und dem VfL Osnabrück in Deutschland ein Schwarzer von einem Zuschauer rassistisch beleidigt wurde, erzwangen die Mannschaften eine Pause. Alle Spieler waren sich schnell einig, dass sie mit gutem Beispiel vorangehen wollten: Spieler, beide Vereine, Schiedsrichter, Verbände und Anhänger beider Mannschaften.
Der Einzelne ist nicht machtlos, der Mensch kann etwas bewegen. Wir fangen klein an und können groß enden. Greta Thunberg war fünfzehn, als sie allein auf einer Stockholmer Straße stand, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Viele machten mit und „Fridays for the Future“ setzt die Umwelt auf die globale Agenda. Dies änderte die Politik. Zum Beispiel auch Fußball: Die EM 2024 in Deutschland kann nur dann als Erfolg gewertet werden, wenn ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Unsere Vorbereitungen laufen bereits.
Ich schätze mich glücklich, in einer Demokratie geboren worden zu sein. Es ist noch nicht lange her, da waren die Bedingungen in meinem Heimatland anders. Vor drei Jahrzehnten war Deutschland geteilt und der Osten eine Diktatur. Auch andere Nationen in Europa erlebten einen Wandel. Die Europameisterschaft 1964 fand in einem faschistischen Staat statt und die spanische Mannschaft gewann das Turnier zu Hause gegen General Franco. Als Spanien 1982 die Weltmeisterschaft gewann, war Franco noch an der Macht. Als es geschah, war Spanien bereits eine Demokratie.
Sportliche Großereignisse, insbesondere im Fußball, erzeugen enorme Aufmerksamkeit. Die Europa- und Weltmeisterschaften verlangen heute von jedem, der daran teilnimmt, sich für Arbeitsbedingungen und Menschenrechte in Katar und Peking zu engagieren. Bei der Euro 2024 in Deutschland wird Europa miteinander verhandeln, wie wir zusammenleben wollen.
*Dies ist eine Kolumne von Philippe Lahm, die in Zusammenarbeit mit dem Journalisten Oliver Fritsch von Zeit Online verfasst und von Tribuna Expresso exklusiv für Portugal veröffentlicht wurde
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