Deutschland habe eine „besondere Verantwortung“ gegenüber Europa – das schreibt die künftige Regierung aus SPD, Grünen und FDP im Koalitionsvertrag vor. Er will einiges anders machen als seine Vorgänger: härter in Sachen Rechtsstaatlichkeit, mutiger beim Klima, entschiedener gegenüber China und Russland. Das neue Team in Berlin hat viele Pläne für die europäische Arena.
Russlands Drohungen gegen die Ukraine
Die erste außenpolitische Bewährungsprobe erwartet den künftigen Bundeskanzler Olaf Scholz schneller, als er es sich hätte wünschen können: Russlands Militärpräsenz an der Grenze zur Ukraine ist seit langem die gefährlichste Situation in der Region. Der Westen hat der Ukraine Schutz geboten, aber wird er sein Wort halten? Scholz wird sich in einer Position wiederfinden, in der Angela Merkel zuvor am Verhandlungstisch brillant war. In dieser Krise wird er seinen eigenen Stil entwickeln müssen.
Wenn seine Regierung eine härtere und kompromisslose Haltung gegenüber Russland einnehmen will, muss sie in den kommenden Wochen die militärische Reaktion der NATO und insbesondere der USA auf Drohungen gegen die Ukraine unterstützen. Als letztes Mittel wird er ein Falke sein müssen, der die friedenssuchenden SPD-Mitglieder und Grünen auf die Probe stellt.
Letztere wiederum nehmen bei der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 eine strengere Position als die SPD ein. Ist die neue Regierung damit einverstanden, ein politisches Schreckgespenst gegen Moskau einzusetzen?
Die Rechtsstaatlichkeit Europas
Auch Europa solle bei Bedrohung des Rechtsstaats schneller und entschlossener agieren, verspricht die Koalition. In Ungarn ist dies seit über einem Jahrzehnt der Fall, in Polen seit der Machtübernahme der PiS ununterbrochen. Und ein paar kleinere Anhänger folgen noch den populistischen Autokraten von Budapest und Warschau.
Hier wird eine der Schwächen der Regierung von Angela Merkel sichtbar: Sie hatte ein großes Herz und viel Verständnis für die Schwierigkeiten der Transformation osteuropäischer Länder. Doch davon überschattet, haben sich einige zu Feinden der Demokratie entwickelt, und es wird schwierig sein, diesen Trend zu stoppen. Es ist spät, aber nicht zu spät. Pressefreiheit, Unabhängigkeit von Justiz und Institutionen, Freiheit der Zivilgesellschaft und Achtung der Menschenrechte sind kein Schmuck, sondern Grundelemente Europas. Die neue Bundesregierung muss hier schnell Pflöcke reinstecken, schnell einschlagen, auch wenn es zunächst enorme Probleme in der EU verursacht.
Lockerung der Schuldenregeln oder nicht?
Christian Linder, der neue Finanzminister, wird seine arrogante Art in der Umkleidekabine verlassen müssen, wenn er Partner unter seinen europäischen Partnern finden will. Jetzt ist sein französischer Kollege Bruno Le Maire erfolgreicher. Paris hat gerade einen Freundschaftsvertrag mit Italien unterzeichnet – ein Weckruf für fiskalische Falken, die Geld sparen wollen. Beide Länder, unterstützt vom Rest des Südens, wollen die Schuldenregeln lockern. Lindner schüttelte im Wahlkampf vehement die Hände, um gegen eine solche Strategie zu protestieren. Der Kanzler muss also seinem Finanzminister zuflüstern, wie er in der Schuldenfrage clevere Kompromisse ausarbeiten kann, die die hehren Grundsätze nicht erschüttern, aber wohl umschiffen.
Und alles andere…
Auf der politischen Agenda stehen noch so viele andere Dinge: Berlin will beim Klimaschutz mutiger sein, was in der EU begrüßt wird, aber es wird mit Forderungen nach noch mehr Geld für den Osten und ärmere Mitgliedstaaten einhergehen. Es soll ein gerechteres Asylsystem geschaffen werden – da brach sogar Angela Merkel die Zähne aus. Europa soll gegenüber China, wie in der Außenpolitik allgemein, mit einer Stimme sprechen – in dieser Situation sprießen nationale Interessen wie Unkraut aus dem Boden.
Es ist gut, dass die neue Regierung viel tut und sich ändern will. Im Alltag wird er sich aber auch mit der Zurückhaltung der Partner, mit echter Politik und endlosen Krisen auseinandersetzen müssen.
Es wird Olaf Scholz helfen, dass er Brüssel aus seiner Ministerzeit kennt und versteht, wie dieser Ort funktioniert. Von Angela Merkel konnte er viel Geduld und ein hohes Maß an Frustration lernen. Und wenn seine Regierung nach einigen Jahren zumindest einige dieser guten Absichten und Richtungsänderungen umsetzen könnte, würde das Europa ganz gut tun.
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